Wie im wahren Märchen - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Wie im wahren Märchen


»Ich soll wie eine „Prinzessin auf der Erbse“ sein?« Mein lieber Ernst und unser Großer nickten. »Seit wann stehen diese backend und brutzelnd in der Küche? Im Märchen hat sie dafür ihr Gesinde, einen Hofstaat und eine Zofe, die sie von früh bis spät umsorgt. Auch sitzt eine wahre Prinzessin kerzengerade, damit ihr die Krone nicht vom Kopf fällt, auf einem schönen Sofa und trinkt gern mehrere Tässchen heiße Schokolade. Ja, und ansonsten verbringt sie die meiste Zeit damit, nach einem ritterlichen, attraktiven und sehr reichen Prinzen Ausschau zu halten, denn verarmter Adel geht gar nicht. Findet sie keinen „Passenden“, dann ist Schluss mit lustig und es geht ab ins Kloster mit ihr. Im wahren Märchen findet sie ihn aber immer und es ist sogar möglich, dass sich ein hässlicher Frosch in einen schönen Prinzen verwandelt.«

Ernst schmunzelte und sagte dann: »Schatz, welch ein Glück für uns beide, dass ich mich erstens nicht verwandeln musste, du zweitens einen wahrhaftigen, passenden, selbst ernannten Prinzen abbekommen hast«, er grinste jetzt, »und drittens bin ich der perfekte One-Man-Hofstaat. Auch das Gesinde ersetze ich prima, denn als weltbester Müllbeutel-Rausbringer, Spülmaschinen-Ausräumer, Aushilfs-Fensterputzer und menschgewordener Staubsauger habe ich mir einen Namen gemacht. Ebenso als Beikoch im Sinne von Vorkosten und Loben. Ja, und der Rasenmäher ruft leider meistens auch nur nach mir. Der kleine Rest von Hausarbeit, der dann noch bleibt, macht sich doch fast von allein. Du kennst das Lied: Das bisschen Haushalt macht, sich von allein, sagt … außerdem solltest du die Kinder, vor allem die Jungs, viel mehr einspannen.« Unser Großer entrüstet: »Papa, würdest du nur die Hälfte von dem machen, was wir alles …« Ernst unterbrach ihn: »Sohnemann, auch junge Prinzen sollten ein bisschen Haushalt lernen, um ihre Prinzessinnen mit hauswirtschaftlichen Fähigkeiten zu beeindrucken. Gut, im wahren Märchen mussten sie eher durch Ritterlichkeit, Wagemut, Kraft etc. glänzen. Allerdings hatten sie auch keine andere Wahl, sich zu beweisen, denn weder gab es eine Spülmaschine noch die Müllabfuhr.« Und an mich gewandt: »Schatz, ich finde, du hast nach wie vor sehr viel Glück, dass ich nicht zum verarmten Adel gehöre und dich zudem noch mit Gitarre-Spiel und Minnesang begeistere. Auch biete ich dir eine schnittige Harley statt langweiliger Kutschenfahrt und mein „Kaltblut“ habe ich vor ein paar Wochen durch ein metallenes schwarzes Lastenfahrrad ersetzt. Dieses wird meistens nur von mir, ohne zu stocken und ohne hü … und brr … fortbewegt. Auch musst du mir selten die Sporen geben.« Ernst und unser Sohn lachten jetzt herzhaft. Ich lächelte und sagte dann: »Mein lieber Ernst, „Ohne" funktioniert bei dir, weil du ahnst, dass deine Futterkrippe „danach" gut gefüllt ist. Übrigens, seid ihr wirklich der Meinung, dass ich wie eine „Prinzessin auf der Erbse bin“?« Ernst sah mich an und sagte jetzt sehr ernsthaft: »Ja, weil auch du in der Lage wärst, eine kleine Erbse unter sehr vielen dicken Matratzen, wenn wir diese denn hätten, zu erspüren. Diese Wesensart bringt zwar so manche Herausforderungen mit sich, aber da ich diese bekanntermaßen liebe, ist die Zeit mit dir nicht immer märchenhaft, aber immer natürlich erfrischend, wie Quellwasser ohne künstliche Zusätze. Dieses zeigt Fließeigenschaften von sehr sanft bis heftig sprudelnd. Deshalb ist unser Leben zeitweilig sehr interessant, aber zum Glück nie langweilig. Apropos Erbse, ich hätte mal wieder Lust auf eine Suppe aus diesem getrockneten Gemüse. Nur falls du mal wieder nicht weißt, was du kochen sollst.«
 
Unser Großer grinste und meinte, dass es wohl besser sei, diese „Märchenstunde“ nicht allzu „ernst“ zu nehmen. Ich gab ihm recht und stellte fest, dass meine Prinzen trotz ihres adligen Standes Hausmannskost schätzen würden. Falls sie mir zuliebe die Küchenwände in Königsblau überpinseln würden, gern mit Krönchen-Muster, versprach ich, die gewünschte Suppe zu kochen. Selbst einfache Hausmannskost würde so bestimmt königlich schmecken. Ernst und unser Großer waren allerdings der Ansicht, dass der Geschmack meiner Erbsensuppe sich nicht durch einen neuen Anstrich steigern würde, schon gar nicht in Königsblau, denn die Schalker würden zurzeit nicht gut dastehen. Auch sollte die Entscheidung, ob renoviert werden müsste, vorerst diskutiert werden, gern bei einem adligen Menü. Dazu machten meine Prinzen folgende Vorschläge: ein schmackhaftes „Prinz Ernesto“ Maronen-Süppchen mit Trüffel-Öl, zartes Bœuf Stroganoff, Prinzessböhnchen und Herzoginnen-Kartoffeln. Dazu ein süffiges „Prinzen-Bräu“. Als Dessert köstliches Fürst-Pückler-Eis, Welfen-Speise ginge aber auch.
 
»Und zum Nachmittagskaffee hätten meine Prinzen doch bestimmt, gern eine Prinzregenten-Torte oder lieber einen Apfelstreuselkuchen nach Hausfrauenart mit Schlagsahne?«, wollte ich wissen. »Schatz, das Gebäck mit dem adligen Namen ist in diesem Fall die bessere Wahl. Wir nennen es dir zu Ehren sehr gern Prinz-Regentinnen-Torte, denn Gendern ist gerade im Trend.« Meine zwei Prinzen amüsierten sich jetzt königlich.

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