Die Silberhochzeitsreise - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Die Silberhochzeitsreise


Es hätte ein rundum entspannter Abend werden können. Ja, hätte.
 
Mein lieber Ernst und ich aßen bei unserem Lieblingsitaliener zu Abend. Als Dessert wollte er mich mit seiner Idee bezüglich unserer Silberhochzeitsreise, die erst im kommenden Jahr stattfinden soll, überraschen. Überraschungen sind für mich ein schwieriges Thema. Ich mag sie nicht. Meist aus gutem Grund!
 
»Schatz, jetzt schließ bitte mal deine Augen und sage mir, wo du uns auf unserer Silberhochzeitsreise siehst«, lautete Ernsts Frage und es lag eine gewisse Spannung in der Luft. Dieses Mal war er mit der Reiseplanung dran, denn anlässlich unserer sogenannten grünen Hochzeit hatte ich das Vergnügen gehabt. Wir waren beide der Meinung, besonders ich, dass es sehr wichtig ist, immer eine gleichberechtigte Beziehung auf Augenhöhe zu führen. Ich tat nun, wie mir geheißen: »Also, ich sehe uns auf der Terrasse eines sehr schönen Hotels stehen. Wir blicken auf den Gardasee und sehen einen wunderschönen Sonnenuntergang. Es ist noch angenehm warm und wir sind in einer sehr romantischen Stimmung. Gerade steckst du mir einen klitzekleinen Brilli an den Finger.« Diese Vorstellung ließ meine Stimme fröhlich klingen. Ich schlug die Augen auf und schaute ihn erwartungsfroh lächelnd an. Ernst schaute so gar nicht fröhlich, eher irritiert. Mir ging es ebenso, als ich das Überraschungsanschauungsmaterial sah, welches er auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Zu sehen waren Prospekte eines Campingplatzes an der Weser, von Kuppelzelten, Isomatten, Schlauchbooten und dergleichen mehr. Dazu noch einige Fotos. Auf einem war mein lieber Ernst an einem Lagerfeuer sitzend, mit Gitarre unterm Arm, umringt von vielen jungen Mädchen zu sehen. Sein absolutes Lieblingsfoto, das er immer bei sich trägt, damit er es auch in unpassenden Momenten, wie diesen zeigen kann. Mir entfuhr entrüstet: »Und dafür diese frühzeitige Planung? Außerdem denke ich bei kühlem Wetter viel lieber an einen Italienurlaub.« »Rechtzeitige Planung Schatz! Außerdem habe ich bisher gedacht, du liebst das Weserbergland immer, magst keinen Schmuck und möchtest mal was ganz, ganz anderes machen, um unsere Ehe zu beleben«, entgegnete er betont ruhig. Ich war sehr aufgebracht. »Ernst, damit hast du zwar recht, aber ich finde, dass eine Silberhochzeitsreise schon etwas ganz, ganz besonderes sein sollte. Da würde ich mir erstens sogar einen Brilli an den Finger stecken und zweitens glaubst du im Ernst, mein lieber Ernst, dass Camping im Minikuppelzelt irgendwo an der Weser auf einer Isomatte liegend mich, mich in irgendeiner Weise beleben könnte?« Meist ist er ja cool und locker, jetzt aber sah ich, dass sein Blutdruck gestiegen war. Entsprechend war sein knapper Kommentar: »Versteh einer die Logik der Frauen!« »Ernst, wieso Frauen? Es geht doch jetzt nur um mich und ich möchte auch mal unlogisch denken dürfen. Wir sind schließlich gleichberechtigt, denn du hast neulich auch sehr, sehr unlo …« Ernst unterbrach mich: »Jetzt nicht schon wieder die Sache von neulich«, und lockerte seine Krawatte. Da war nun meinerseits eine gewisse Vorsicht geboten. »Schatz, denk an deinen Blutdruck«, mahnte ich. »Ach Blutdruck! Du predigst Gleichberechtigung besonders gern dann, wenn es dir gerade so in den Kram passt. Da muss ich mich aufregen.« Er war merklich sauer. Die Gäste vom Nachbartisch schauten interessiert und lächelnd zu uns herüber. Jetzt erzählte ich ihm meinen Kompromissvorschlag ausgesprochen freundlich: »Schatz, wenn du allerdings ein großes Steilwandzelt und eine bequeme Luftmatratze für mich besorgst, und wenn du nur für mich Gitarre spielst, statt den gesamten Campingplatz zu unterhalten, dann stimme ich deiner Reiseidee doch zu«. Stirnrunzelnd sagte er: »Ach, das ist also deine Vorstellung von Gleichberechtigung. Ich darf sogar auswählen? So, so. Das ist ja sehr nett und großzügig von dir.« Er seufzte, lächelte mich an und sagte: »Schatz, vermute ich richtig, du denkst, wir hätten es mit Luftmatratze und Steilwandzelt doch wesentlich bequemer? Oder hoffst du, dass die warme italienische Sonne meine Rückenschmerzen endlich kuriert und mich zusätzlich noch belebt?« Er grinste. »Ich muss über die ganze Sache nachdenken.« Lächelnd streichelte ich seine Hand. »Ja, Schatz, mach das.«

Den Rest des Abends schwärmte er mir, bei einem weiteren Glas Rotwein von seinen Erfolgen als Hobbymusiker vor. Sein Blutdruck war gesunken, unser Stimmungsbarometer gestiegen und seine Krawatte, die blieb zum Glück gelockert. Sah sich Ernst etwa in Gedanken schon am Lagerfeuer sitzen, von vielen Frauen umringt Gitarre spielen und seine Bühne war ein Campingplatz an der Weser? Vielleicht war diese aber auch eine Hotelterrasse am Gardasee? Im Grunde dürften ihm die Urlaubsorte meiner Meinung nach völlig egal sein, denn mit seiner Musik kann er die Frauen überall begeistern. Ja, und Pizza, das ist bekannt, schmeckt nirgendwo besser als in Italien.
 
Wohin ging wohl nun unsere Silberhochzeitsreise? Heute weiß ich es. Verrate es euch aber nicht. Nur so viel: Unsere Reise verlief sehr interessant, sehr unterhaltsam, mit durchaus romantischen Momenten. Einen Brillie, den gab es allerdings nicht!

Text wurde weitergeleitet an die Vereinsmitglieder der Kunstfreunde Wetter und andere lesebegeisterte Menschen.
 
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