Vom Warten und Ankommen - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Vom Warten und Ankommen


Es war der Samstag vor dem zweiten Advent und der Tag ihrer kirchlichen Trauung. Advent bedeutet Ankunft und auch sie beide hatten das Gefühl, endlich angekommen zu sein und diesen Zeitpunkt bewusst gewählt, denn schon sehr lange hatten sie voller Ungeduld auf diesen für sie so bedeutsamen Tag gewartet. Ihr Bekenntnis zueinander vor Gott war ihnen sehr wichtig, denn sie waren sich einig: Liebe ist göttliche Energie, eine Himmelsmacht. Liebe ist ein Geschenk Gottes an die Menschen, da waren sie sich einig, auch dass es kein Zufall gewesen war, dass sie sich trafen. Sie nannten es gern Fügung. Schnell hatte es zwischen ihnen geknistert, wie man so sagt, und der berühmte Funke war übergesprungen. Wenn das nicht göttliche Energie war! Mit dieser Liebe hatten sie nicht mehr gerechnet, nicht erwartet, denn sie waren nicht mehr ganz so jung und auf ihren Wegen zueinander schon viele Umwege gegangen, hatten viele Hürden überwinden müssen und sich an so manchen Ecken und Kanten gestoßen. Doch nun war er endlich da, ihr Hochzeitstag, und beide strahlten glückselig um die Wette.
 
Im Advent warten wir erwartungsvoll auf Weihnachten, und auch sie hatten Erwartungen an ihren Hochzeitstag. Hohe, aber leider wurden diese, wie so oft im Leben, nur zum Teil erfüllt. Zwar war es eine schöne, harmonische und fröhliche Feier mit den Familien und Freunden gewesen, aber der Himmel war trüb und es war sehr kalt. Da die Gäste vom langen Warten und dem lang ersehnten Ankommen des Brautpaares wussten, drehten sich viele Gespräche auch um diese Themen.
 
Die kleine Lea wartete schon ganz aufgeregt auf das Weihnachtsfest. Sie war schon sehr gespannt, ob die erhofften Geschenke unter dem Weihnachtsbaum liegen würden, und zappelte aufgeregt auf ihrem Stuhl herum, als sie davon erzählte. Tom dagegen hatte sich um eine Lehrstelle beworben und wartete ebenfalls ungeduldig auf eine Zu- oder auch Absage. Er hatte deshalb viele schlaflose Nächte gehabt, denn mit der Zuversicht haperte es. Auch die ältere Generation lieferte Gesprächsbeiträge zu den Themen „Warten“ und „Ankommen“.  Onkel Walter wartete schon sehnsüchtig auf seine Zeit als Rentner. Er wollte sich dann endlich einen langgehegten Wunsch erfüllen und nach Kanada reisen. Natürlich hoffte er, dort einen leibhaftigen Bären zu sehen, um dann sein Foto des Jahres als Trophäe Familie und Freunden zu zeigen. Einen anderen Grund für ihre Ungeduld hatten Franziska und Sven. Sie erwarteten ihr erstes Kind und malten sich voller Vorfreude ihre Zukunft zu dritt in rosaroten Farben aus. Tante Martha, eine betagte Dame, die neben der werdenden Mutter saß, wiegte wissend, nachsichtig lächelnd den Kopf. Sie hatte zwei Ehemänner überlebt, fünf Kinder großgezogen und erzählte gern einiges aus ihrem sogenannten „Nähkästchen“. Ihre Erwartungen an das Leben und die Menschen wurden nicht immer ganz erfüllt, aber im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, ihre Lebensumstände anzunehmen. Dafür hätte sie sich oft in großer Geduld, Zuversicht und Dankbarkeit üben müssen. Um dieses immer wieder ganz bewusst leben zu können, wäre ihr der Glaube an Gott hilfreich gewesen. Schmunzelnd erzählte sie weiter, dass ihr das geduldige Warten beim Zahnarzt allerdings immer noch sehr schwerfallen würde.
 
Viele der Gäste waren sehr beeindruckt von ihrer besonderen Ausstrahlung und entspannten Heiterkeit. So auch das Brautpaar, das am Ende der Feier die vielen Gespräche und besonderen Momente des Tages Revue passieren ließ. Sie kamen überein, dass sich anscheinend alle Menschen, ob groß oder klein, immer in einem Wartezustand befinden würden, um irgendwo oder bei irgendwem anzukommen.
 
Dem Brautpaar erschien es erstrebenswert, sich Tante Martha als Vorbild zu nehmen. Ja, auch sie wollten immer wieder zuversichtlich, geduldig und mit viel Humor, aber auch Realitätssinn warten. Sie sahen sich an und wussten, dass sie dasselbe dachten: Wie schön, dass du geduldig auf mich gewartet hast. Jetzt kann ich den Advent sogar fühlen, denn endlich bin ich bei dir angekommen und so auch bei mir.

Der Text wurde an die Vereinsmitglieder der Kunstfreunde Wetter und andere lesebegeisterte Menschen weitergeleitet
War ein Beitrag zum adventlichen Abend mit Musik und Texten in der Sarnauer Kirche im Dezember 2021

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