Ich heiße Fanny - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
Direkt zum Seiteninhalt

Ich heiße Fanny


Es war ein Freitag, fünfzehn Uhr, mit Spätsommerwetter. Die Fridays for future-Demo begann. Viele Menschen jeden Alters waren von nah und fern gekommen, um daran teilzunehmen. Ein langer Demonstrationszug bahnte sich friedlich, begleitet von lauten Parolen und Stimmengewirr, seinen Weg durch die Stadt. Banner wurden getragen und Fahnen geschwungen.
 
Direkt vor mir, inmitten des Zuges, gingen eine junge Frau und ein etwa gleichaltriger Mann nebeneinanderher. Sie gingen im Gleichschritt. Die zwei waren anscheinend allein gekommen, gehörten keiner Gruppe an. Sie fielen mir auf. Es war da irgendetwas zwischen ihnen. Ich schaute genauer hin. Das Kleid, das sie trug, war grün-schwarz-kariert, tailliert, mit weitem, knielangem Rock und hatte einen kleinen weißen Kragen. Sie wirkte ein wenig aus der Zeit gefallen. Ich dachte: Secondhand? Auf ihrem Rücken trug sie einen braunen Rucksack, an dem ein kleiner Bär befestigt war. Dieser schaukelte bei jedem Schritt heiter und beschwingt hin und her. Wirkte lustig. Gefiel mir. Auf ihrem Kopf saß etwas schief, ein kleiner Strohhut, geschmückt mit Plastikblumen. Darunter verbargen sich blonde Haare, die vermutlich zu einem Knoten zusammen gezwirbelt waren. Sie hatte flache, braune Sandalen an den nackten Füßen. In der Hand trug sie eine kleine Fahne mit einem Logo darauf.

Der junge Mann neben ihr trug ebenfalls Sandalen, schwarze und war bekleidet mit knielangen, grauen Shorts und einem kurzärmligen weißen T-Shirt. Mir fielen einige, winzig kleine Löcher darin auf und ich dachte: Mottenhunger? Oder auch Secondhand? Sein krauses, braunes Haar trug er im Nacken mit einem Gummiring zusammengefasst.
   
Warum fielen sie mir auf? Zwei junge Menschen gingen inmitten vieler Gleichgesinnter nebeneinanderher. Daran war nichts Besonderes. Ich dachte: Warum also fallen sie mir auf? Sie schienen zwar mittendrin zu sein, Teil einer großen Gemeinschaft, wirkten jedoch paradoxerweise so, als seien sie außen vor, denn alles im Außen, alles, was um sie herum passierte, schien ihnen nicht wichtig. Sie waren stark aufeinander fokussiert. Ich konnte nur das Halbprofil ihrer Gesichter sehen. Sah, dass sie unaufhörlich redeten, er, ihr zugeneigt, mehr als sie. Ich überlegte: Um welche Themen geht es, außer wahrscheinlich dem Klima, bei ihrem Gespräch? Wegen des Lärms rings um uns her konnte ich ihre Worte nicht verstehen. Ich sah, dass sie in andauerndem Blickkontakt waren, sich anlächelten. Sie wirkten gleichsam fröhlich, aufgekratzt und doch befangen. Die Energie, die ich zwischen ihnen bemerkte, war fast sichtbar. Ich dachte: Ist da ein Knistern zu hören? War etwa der berühmte Funke übergesprungen? Ich merkte, dass ich lächelte Mir fielen Worte ein wie: sich erkennen - Erkenntnis, bedeutsam - Bedeutung, Achtsamkeit, Respekt.
 
Auf einmal hörte ich sie, ihn gut verständlich fragen: »Wie heißt du eigentlich?« Er antwortete leise, sodass ich ihn nicht richtig verstehen konnte. Hatte er Basti gesagt? Der Name könnte passen, dachte ich. Er ist ein Basti-Typ. Ja, doch, er heißt Basti. Weil mir der Name gefällt. Jetzt lächelte er sie an. Die junge Frau lächelte zurück und sagte ungefragt: »Ich heiße Fanny«. Plötzlich war so etwas wie Erleichterung zwischen ihnen zu spüren. Etwas schien jetzt geöffnet. Ihr Lächeln und ihre Heiterkeit wirkten befreiter, natürlicher.
 
Ich überlegte: Warum haben die zwei diesen Weg, diesen Tag und diese Uhrzeit gewählt, der sie genau darum an diesen Ort geführt hat? Zufällig? Gibt es Zufälle? Oder, werden wir gelenkt, immer zu unserem ganz persönlichen Ziel geführt? Fügt es sich? Gibt es so etwas wie Anziehungskraft?
 
Der Demonstrationszug löste sich wegen einer Kundgebung auf. Ich verlor die zwei aus den Augen und dachte: wie schade, überlegte: Wie geht es weiter mit ihnen? Geht es weiter? Werden sie sich verabreden, wiedersehen? Wird vielleicht eine Liebesgeschichte daraus? Vielleicht. Werde ich ihnen auf der nächsten Demo wieder begegnen? Gehen sie dann wieder direkt vor mir nebeneinanderher? Gehen sie dann Hand in Hand? Vielleicht.

Der Text wurde an die Vereinsmitglieder der Kunstfreunde Wetter und andere lesebegeisterte Menschen weitergeleitet
 
 
Zurück zum Seiteninhalt