Vom "Nah Sein", über Erbsensuppe und La Dolce Vita - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Vom "Nah Sein", über Erbsensuppe und La Dolce Vita


«Und Sohnemann, wie war’s beim Zahnarzt?», wollte Ernst von unserem Großen wissen, als wir in der Küche, gern auch „die Schaltzentrale“ genannt, beim gemeinsamen Abendessen saßen. «Papa, Sohnemann? Ich habe bisher immer gedacht, du magst es nicht, wenn die Oma dich so nennt.» «Ach, weißt du, je älter ich werde, umso mehr wird mir bewusst, dass sie es liebevoll meint.» «Großer Bruder, nun sag schon endlich, ob er gebohrt hat», war von unserem Mittleren zu hören. Unserem Großen war es sichtlich peinlich, als er gestehen musste, dass er den Termin vergessen hatte. «Vergessen? Gib doch zu, dass du „Schiss“ hattest. Wenn die Mami beim Zahnarzt in meiner Nähe ist, habe ich fast gar keine Angst. Und weil ich mir hinterher etwas Schönes wünschen darf, freue ich mich darauf schon so doll, dass ich dann überhaupt keine Angst mehr habe. Frag doch auch die Mami oder deine Freundin, ob sie mitkommen.» Unsere Kleine fing an zu kichern, der Mittlere lachte laut auf.

Jetzt mischte sich Ernst ins Gespräch ein. «Da gibt es nichts zu kichern und zu lachen, denn wenn die Mama in Situationen, in denen ich mich unsicher oder manchmal ängstlich fühle, in meiner Nähe ist, geht es mir viel, viel besser. Ich kann auch verstehen, mein Großer, dass du den Termin ganz gern vergessen hast. Unangenehmen Situationen auszuweichen ist menschlich.» «Papa, du unsicher und ängstlich?» kam es ungläubig von unseren Jungs wie aus einem Mund. Unsere Kleine klang fast ein wenig weinerlich, als sie sagte: «Papi, wenn du Angst hast, dann habe ich auch Angst. Kannst du uns dann überhaupt alle beschützten, oder muss die Mami das ganz allein machen?» Ich sah den Moment gekommen, Ernst zu unterstützen: «Ich glaube ganz fest, dass der Mut von Papa und meiner immer völlig ausreichen wird, um euch drei zu beschützen. Kinder und Erwachsene dürfen Angst haben und „menscheln“, wie man so sagt. Angst schützt uns ja auch vor Gefahren und das ist genial. Aber jeder möchte viel lieber immer sehr cool und immer sehr relaxt erscheinen, weil solche Menschen von vielen bewundert werden. Euer Papa vertraut uns und kann deshalb so offen über seine Gefühle sprechen. Schatz, ich bewundere dich dafür wirklich sehr. Du bist ein selbstbewusster Mann und bist, meist mutig und cool, manchmal auch nicht. Du wirst immer ganz du selbst sein, weil du auch gar nicht anders kannst. Oder bist du anderer Ansicht?»

Ernst schmunzelte als er sagte: «Du hast ja wie immer oder ich sage lieber fast immer Recht. Selbst so ein cooler Typ wie Grönemeyer hat davon gesungen, dass Männer auch Menschen sind und meinte damit wahrscheinlich, dass Männer auch hin und wieder ängstlich sein dürfen wie kleine Jungs. Ich finde „Söhne Männer“», er grinste unsere Jungs jetzt an »Wenn die Frauen uns besonders deshalb lieben und bewundern, dann werde ich eure Mutter bitten, beim nächsten Zahnarztbesuch ganz nah bei mir zu sein.» Ernst schmunzelte. «Ich glaube allerdings, dass auch wir Männer die Frauen sehr faszinierend finden, die ab und zu wie kleine Mädchen sind, mal mutig und auch mal ängstlich.»« Schatz, es freut mich, was du sagst, und schon sind wir mitten im Thema, denn es gab heute zum Abendessen statt der von euch gewünschten deftigen Erbsensuppe mit Würstchen eine italienische, ihr wisst, wie sehr ich Italien und ihre großartige Küche liebe, eine leichte Fischsuppe mit viel Zitrone. Wisst ihr, ich musste dazu sehr mutig sein, weil ich unsicher und ein wenig ängstlich war, wusste ich doch, dass ich euch ein bisschen enttäuschen würde. Aber mir war einfach nicht nach winterlicher Hausmannskost, sondern nach La dolce Vita. Ich wollte euch überraschen, eure Erwartungen mal, und ich betone auch mal nicht erfüllen und wollte vielleicht dadurch eure ganze Aufmerksamkeit. Deshalb gab es für euch heute völlig unerwartet nichts Winterlich Deftiges zu essen, sondern etwas Leichtes, Italienisches, und nein, keine Pizza. Ich hatte Lust auf etwas Besonderes und wollte euch auf unseren Frühlingsurlaub in Italien einstimmen, dem Land, in dem die Zitronen blühen. Wie hat euch denn eigentlich die Fischsuppe mit Zitrone geschmeckt?»
 
Die Kinder waren sich einig, dass Erbsensuppe mit Würstchen und Grießpudding mit Himbeersoße zum Nachtisch auf jeden Fall die bessere Wahl gewesen wäre. Ernst übte Nachsicht und war mit seinem Kommentar nicht ganz so deutlich, wollte aber von mir wissen, was es denn nach der guten Suppe Leckeres zum Nachtisch geben würde. «Eine köstliche Zitronen Tarte. War schon eine anspruchsvolle Arbeit. Wer mag, kann eventuell noch Himbeersoße dazu nehmen.« Wieder waren sich die Kinder einig, dass die Tarte mit Soße, aber überhaupt nur dann vielleicht schmecken würde. Auch beim Dessert war mein lieber Ernst wieder viel nachsichtiger als die Kinder und lobte den unerwartet erfrischend fruchtigen Geschmack. Lächelnd sagte er: «Schatz, sollte ich vielleicht einen Kaffee machen. Dazu könnte ich mir sehr gut diese köstlichen italienischen süßen Cantuccini vorstellen und danach vielleicht noch einen Sekt mit Limoncello? Was meinst du?»
 
Unser Großer schlug uns vor, er nannte uns jetzt Bella Mama und Papa Ernesto, bekanntermaßen nenne ich Ernst in den italienischen Momenten unseres Lebens ebenfalls so, für den perfekten Ausklang des Abends italienische Kuschelsongs. Man könne dazu aber auch sehr gut tanzen, so „Steh-Blues“ mäßig. Ernst ließ ihn wissen, dass er begeistert von seiner Idee sei, die aber auch noch von ihm selbst gekommen wäre, denn er sei ja als Frauenversteher bekannt, der wüsste, was Frauen lieben. Schön sei, dass diesbezüglich die Nachfolge anscheinend gesichert sei. Unsere Kinder waren sich nun einig, dass sie uns jetzt nicht stören wollten und verzogen sich. Auch Ernst und ich waren uns einig, dass die Kinder bestimmt sehr froh waren, endlich, endlich den Fernseher, Laptop und das geliebte Handy zu bedienen.
 
Und wir? Auch wir waren uns einig, und freuten uns endlich zu zweit La Dolce Vita genießen zu können. Bella Italia, wir kommen!
 
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