Ernst in "Erklärungsnot" - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Ernst in "Erklärungsnot"


Es war einer dieser Nachmittage, an denen es sich unsere Familie zu Hause gern so richtig gemütlich macht, denn das Wetter war scheußlich, es regnete und stürmte heftig. Meine Schwiegereltern waren auch mit von der Partie. Unsere Kleine erzählte emotional sehr bewegt und den Tränen nahe, dass die Eltern ihrer Freundin sich scheiden lassen würden, da der Vater „fremdgegangen“ sei. „Papi, was ist eigentlich ‚Fremdgehen‘, wollte sie wissen. Plötzlich herrschte Stille, die entspannte Plauderei war unterbrochen.

Alle schauten jetzt auf Ernst, der sich gerade in diesem Moment einen Keks in den Mund geschoben hatte und sich nun lautstark räusperte. Seine Antwort kam zögerlich: „Komm erst mal her zu mir auf meinen Schoß. Ja, wie soll ich es dir erklären. Fremdgehen könnte vielleicht heißen, dass der Vater eine fremde Frau sehr innig geküsst hat.“ Die Kleine daraufhin ganz entrüstet: „Eine fremde Frau? Igitt. Das ist ja eklig. Vielleicht sogar richtig geknutscht?“ Unser Mittlerer wollte jetzt wissen, ob Ernst auch schon mal … Weiter kam er nicht, denn meine Schwiegermutter beschwerte sich an mich gewandt: „Liebes, du musst deine Kinder besser erziehen. Diese Art der Unterhaltung kann ich nicht gutheißen. Früher wäre das undenkbar gewesen. Damals hat noch Anstand, Moral und Sitte geherrscht.“ Mein Schwiegervater entgegnete daraufhin, dass er das Thema ganz interessant finden würde und es mit der Moral früher auch nicht so weit her gewesen sei. Schließlich hätte es früher viele sogenannte „Siebenmonatskinder“ gegeben. Er sei gespannt, was sein Sohn noch zu sagen hätte. Jedenfalls sei er immer „treu wie Gold“ gewesen, deshalb hätte auch die „Goldene Hochzeit“ gefeiert werden können.“
 
Ernst wollte jetzt von mir wissen, was ich für eine Meinung zu diesem Thema hätte. Ich überlegte kurz, sah unsere Kleine an und sagte dann: „Wenn man jemand so richtig innig liebhat, darf man ihn auch so richtig innig küssen. Da wird einem auch ganz warm ums Herz und es fühlt sich richtig an. Fühlt es sich fremd und eklig an, wie du sagst, sollte man sich auch nicht nah sein und auf den Mund küssen." Ernst war hörbar erleichtert, einer ausführlichen „Stellungnahme“ entgangen zu sein: „Schatz, ich bin ganz deiner Meinung. Ich hätte es nicht besser sagen können.“ Unsere Kleine, die gern an einem Thema dranbleibt, das hat sie von mir, wollte nun erneut von Ernst ausgesprochen neugierig wissen: „Papi bekommt eine Frau etwa ein Siebenmonatskind, wenn sie beim „Liebe machen“ den Mann nicht so richtig doll liebhatte, und was ist denn eigentlich treu „wie Gold“?“
 
Ernst, der genussvoll auf einem Keks kaute, räusperte sich erneut ausgesprochen heftig. Er schaute mich länger und etwas hilflos lächelnd an. Ich lächelte zurück. Er wartete, zögerte mit seiner Antwort, bis er dann leicht seufzend sagte: „Also …
 
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