"Frühlingsgefühle" - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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"Frühlingsgefühle"


Gestern war ein wundervoller Frühlingstag. Die Sonne lachte vom blauen Himmel und die Luft war schon angenehm warm. Mein lieber Ernst und ich hatten den Eindruck, es läge Prosecco in der Luft, denn die Stimmung, war irgendwie so prickelnd und voller Verheißungen. Überall war sprießendes Grün zu sehen und es herrschte Aufbruchstimmung. Die Vögel waren schon sehr munter in Balzstimmung und einige Pflanzen wurden von vielen Bienen umschwärmt. Für Ernst und auch für mich fängt deshalb das neue Jahr gefühlsmäßig immer erst im Frühling an. Da sind wir, was naturgemäß nicht immer der Fall sein kann, mal einer Meinung.
 
Auch unsere drei Kinder schienen von den sogenannten „Frühlingsgefühlen“ beflügelt zu sein. Unsere Kleine schwärmte schon für Max aus ihrer Kita und erzählte uns, dass sie sich oft gegenseitig Süßigkeiten schenken würden. Auch sähe er mit seinen tollen schwarzen Locken sehr süß aus und wäre noch hübscher als Ernst, den sie aber trotzdem sehr liebhätte, wie sie betonte. Im Übrigen könne dieser mal nach dem Hinterrad ihres Fahrrads sehen, denn dieses würde „eiern“. Ernst lächelte und sagte: »Ich habe dich auch sehr lieb und ja, das Hinterrad reparieren entweder deine Brüder oder ich. Es kann aber etwas dauern.« »Kann etwas dauern?«, sagte ich zu ihm. »Da kennst du unsere Tochter schlecht, mein Lieber. In dieser Beziehung ist sie wie ich. Es gibt kein Entrinnen, sie wird dranbleiben.«
 
Unser Mittlerer jedoch wurde derzeit von Liebeskummer geplagt, weil seine Angebetete ihn wegen eines Jonas aus der dreizehnten Klasse kaltgestellt, so, die Formulierung unseres Großen, hatte, denn Mia, wurde mit diesem im Auto von dessen Vater gesehen. »Dass sie sich gerade mit diesem Blödmann einlässt, hätte ich niemals von der gedacht. Ich will nie mehr etwas mit ihr zu tun haben«, brach es enttäuscht aus ihm heraus und aufsteigende Tränen waren zu sehen. Noch bevor ich ihm vorschlagen konnte, mit mir über seinen Liebeskummer zu reden, hatte Ernst die Idee, und ich muss sagen, ich hielt sie für großartig, mit den Rennrädern eine Tour zu machen. Unser Mittlerer nickte sein o k wortlos. Mein lieber Mann, der eigentlich vorhatte, den Rasenmäher zu reparieren, delegierte sein Vorhaben, und er tat das nicht ungern an unseren Großen: »Erst wenn der Rasenmäher wieder läuft, kannst du mein Auto für eure Spritztour haben, ist das klar?« Dieser hatte schon am Vortag deswegen angefragt, denn seine Freundin würde sich seit Längerem auf ein Picknick im Grünen freuen. Nachdem Ernst und unser Mittlerer gestartet waren, führte der Große mehrere Telefonate und rief dann seinen Bruder auf dem Handy an, um ihm zu sagen, dass er ein Date mit Mia noch für den Nachmittag organisiert hätte. Diese würde sich sehr gern wieder versöhnen, denn Jonas wäre ihr zu machomäßig. Nun erklärte er seinem jüngeren Bruder, dass die Telefonate so viel Zeit in Anspruch genommen hätten, dass er deshalb nicht dazu gekommen sei, den Rasenmäher zu reparieren. Da dieses aber auch rasch erledigt sei, stände dem herbeigesehnten Date mit Mia nichts im Weg. Er und seine Freundin würden in Kürze mit Ernsts Auto zum Picknick im Grünen starten.

Als Vater und Sohn von ihrer Radtour zurückkehrten, war Letzterem schon die Vorfreude auf das Date anzumerken. Er hatte ausgesprochen gute Laune und der Vorsatz, nie mehr etwas mit Mia zu tun haben zu wollen, schien vergessen. Da Ernst vom Deal der Brüder anscheinend nichts mitbekommen hatte, schob er die Stimmung unseres Jüngeren auf die gemeinsame Radtour und somit auf sein pädagogisches Geschick. Stolz und fröhlich erklärte er mir, dass er dieses ja nicht nur als Vater, sondern auch als Chef täglich mehrfach unter Beweis stellen müsste. Sein Frohsinn währte allerdings nicht lange, denn nun erklärte unser Mittlerer seinem Vater den Deal mit seinem Bruder und erzählte von dem in Kürze anstehenden Date. Dass er den Rasenmäher vorher aus Zeitmangel nicht mehr reparieren könne, täte ihm sehr leid, aber er müsse Mia unbedingt wiedersehen. Er sagte: »Papa, ich weiß, dass du das verstehst«, sprach's und fuhr eilig auf und davon. Ernst sah ihm mit einem halb lachenden und halb weinenden Auge hinterher. Ich war mir sicher, dass er schmunzelnd dachte, oh ja, das verstehe ich gut, denn wer kennt nicht: und ewig lockt das Weib? Etwas widerstrebend holte er jetzt seinen Werkzeugkasten und fing an, den Rasenmäher selbst zu reparieren. Dieses Vorhaben schien allerdings nicht so richtig gut zu funktionieren, denn gelegentlich waren, leise Flüche zu hören. Er grummelte, seufzte. »Da haben mich die zwei Jungs ganz schön ausgetrickst. Ich denke, ich habe was gut bei ihnen. Wenn es nach mir ginge, wäre das Rasenmähen in den nächsten Wochen kein Thema mehr für mich.« »Ach, Schatz, das passt ja gut. Ich hätte noch einige Aufträge für dich.« Mein lieber Ernst runzelte seine Stirn, sagte aber nichts. Stattdessen unterhielt er mich mit Gitarre und Minnesang, sein nach wie vor bewährtes Ablenkungsmanöver. Er lächelte und sagte: »Schatz, findest du nicht auch, es liegt noch immer so etwas wie Prosecco in der Luft? Hast du Lust auf ein Gläschen?«

Veröffentlicht in den Gemeindeblättern Wetteraner Bote und Lahntal aktuell, weitergeleitet an die Vereinsmitglieder der Kunstfreunde Wetter und andere lesebegeisterte Menschen
 


 
 
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