Ernst im "Männerparadies" - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Ernst im "Männerparadies"


Es war Samstagmittag und mein lieber Ernst und ich hatten eine sogenannte Shoppingtour hinter uns gebracht. Sein Kleiderschrank und auch die Wäschekommode zeigten Mängel, die meiner Meinung nach dringend behoben werden mussten. Ernst war da völlig anderer Meinung, denn Shopping war ein Graus für ihn. Auch in diesem speziellen Fall entspricht er dem Durchschnittsmann absolut. Ich war deshalb nicht erstaunt, dass Ernst Gedächtnisleistung, sich seine Konfektionsgrößen zu merken, mal wieder gegen null gingen. Ganz anders ausgeprägt ist seine Merkfähigkeit bei Themen, wie Fußballergebnisse, Börsenkurse und wann und wo er mit seiner Band einst ein Konzert gespielt hat. Ebenfalls merkt er sich, wann und wie viele Fische er wo geangelt hat und viele andere Dinge, die man(n) sich gerne und entsprechend leicht merkt. Wir waren also erschöpft, hungrig und in, sagen wir mal angespannter Stimmung im Restaurant eines Kaufhauses pünktlich zur Mittagszeit angekommen. Da ist Ernst immer pünktlich! Unser Essen bestand nicht aus etwas Leichtem, was seiner schlanken Linie sicher zuträglich gewesen wäre, nein, aus etwas Herzhaftem: leckere Bratkartoffeln mit viel Speck und Zwiebeln. Da diese beim Nutri-Score sicher im roten Bereich lagen, gab es für den gesunden Ausgleich Omega-3-Fettsäure Matjes mit reichlich Sylter-Soße, sodass die gesunde Balance wieder kippte. Egal, es war genau das Richtige, um unseren kippeligen Gemütszustand von Rot nach Grün zu balancieren.
 
Ernst gestand mir, nach dem Essen bestens gelaunt, dass er wieder mal den Eindruck gehabt hätte, beim Einkaufen nicht nur überflüssig, sondern mir sogar im Weg gewesen zu sein. Er gab zu, sich bedauerlicherweise seine Konfektionsgrößen nicht merken zu können und dank meines Feingefühls wäre mein Geschmack in Bezug auf Farben auch wesentlich besser als seiner. Damit wir beim nächsten Einkauf nicht wieder in diesem Dilemma stecken würden, hätte er jetzt spontan und zum Glück, für uns beide, eine großartige Idee. Diese würde auch einer sich wegen seiner Handicaps entwickelnden Beziehungskrise bestens entgegenwirken. Er grinste mich an und sagte: »Schatz, wäre es für dich nicht genial, wenn du mich hier im Kaufhaus in einem, ich nenne es mal Männerparadies, abgeben könntest? Währenddessen hättest du viel Ruhe und Zeit, um für die Familie diverse Einkäufe zu erledigen. Okay, auch meine. In einem bekannten schwedischen Einrichtungshaus hat man mit dem dortigen Kinderparadies beste Erfahrungen gemacht. Eltern und Kinder sind gleichermaßen begeistert. Es ist eine absolute Win-win-Situation. Meine Idee ist auch genial. Ich werde mir deshalb in Kürze einen Termin beim Inhaber des Kaufhauses geben lassen, um ihn von der Wirksamkeit einer Spielecke für Männer«, mein lieber Ernst lachte jetzt, »zu überzeugen. Eine Grillstation im Außenbereich, ein Bier-Pilz, eine Leinwand für Fußballübertragungen und auch gerne eine bequeme Sitzecke, um Skat zu spielen, könnten mir gefallen. Meine Gitarre mitzunehmen, wäre auch kein Problem für mich. Ich glaube, wir Männer würden nur so in Scharen ins Kaufhaus strömen! Wahrscheinlich müsste man sogar frühzeitig einen Platz reservieren. Als BWLer in leitender Position kann ich ihn sicher von dieser Projektidee überzeugen und auch einen Rabatt auf sämtliche Einkäufe der Familie aushandeln. Ich denke, dass ich das hinbekommen werde. Schatz, ich bin selbstverständlich außerdem sehr gerne bereit, deine vielen Einkaufstüten von der Hauptkasse abzuholen und zum Auto zu tragen. Damit brauchst du dich nicht abzuplagen. Jetzt sag doch, wie findest du meine Ideen?«
 
Ich nahm seine Hand, sah in seine Augen und sagte: »Ernst, ich liebe es immer wieder, wenn du mir so strahlend und begeistert von neuen fantastischen Ideen erzählst. Ja, ich glaube, dass du damit beim Chef des Kaufhauses punkten könntest.« Ich räusperte mich, lächelte und sagte dann: »Schatz, erstens: Du weißt, dass du mein absoluter Lieblingsmöchtegernmacho bist. Zweitens: vertraue ich jetzt ganz fest auf deinen Humor und große Tapferkeit! Hörst du auch in diesem Moment eine laute und eindringliche Stimme aus dem Lautsprecher? Sie ruft: Ernesto möchte aus dem Männerparadies abgeholt werden! Sie lässt mich aus meinem Einkaufsstress aufschrecken. Da ich in großer Sorge um dich bin, lasse ich die drei Oberhemden, zwischen denen ich mich mal wieder nur schwer entscheiden kann, fallen. Ja, ich weiß, dass diese Sache dich tierisch nervt und deine Geduld überstrapaziert. Um dich zu retten, düse ich gleich los. Du kommst mir heulend an der Hand der Betreuerin, einer jungen, sehr attraktiven Blondine entgegen. Reißt dich von ihr los, damit ich dich endlich tröstend in meine Arme schließen kann. Unter Tränen erzählst du mir stockend, immer wieder laut aufschluchzend, dass der böse Jan dein Bierglas absichtlich umgestoßen, der Basti deine Grillwurst versteckt und der Tobi beim Skat nicht bedient hat. Außerdem hätte Bayern-München das Spiel haushoch verloren.«
 
Ernst lachte herzhaft und sagte: »Schatz, da auch ich deinen Humor gut kenne, weiß ich, dass wir dann bestimmt in eine Eisdiele gehen werden. Du bestellst für mich zum Trost sicher einen Pinocchio-Eisbecher und für dich ein blaues Schlumpf-Eis mit bunten Streuseln.«

Veröffentlicht im Gemeindeblatt Wetteraner Bote und weitergeleitet an die Vereinsmitglieder der Kunstfreunde Wetter und andere lesebegeisterte Menschen
                       


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