Mode ist einfach nicht seine Sache! - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Gespräche, Kurzgeschichten
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Mode ist einfach nicht seine Sache!


Es ist kaum zu glauben, aber wahr. Mein lieber Ernst und ich stehen im Kaufhaus in der Herrenabteilung. Es wird auch höchste Zeit, denn am kommenden Samstag ist die festliche Veranstaltung, für die mein Mann dringend einen passenden Anzug braucht. Passend im wahrsten Sinne des Wortes, denn sein „Alter“ ist viel zu eng geworden. Die Verkäuferin und ich haben in einer Vorauswahl fünf Anzüge ausgesucht. Einer ist modischer als der andere. Einige haben eine passende Weste, damit Ernst Bäuchlein, er nennt ihn liebevoll „Gourmethügel“, etwas kaschiert wird. Dieser ist während der ganzen Zeit auffallend ruhig und hält sich komplett aus allem heraus. Ich kann deshalb mit der sehr freundlichen Verkäuferin alle anfallenden Fragen im Detail ausführlich besprechen. Gerade, als Ernst sich betont langsam wie ein „Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird“, mit dem ersten Anzug in Richtung Umkleidekabine bewegt, erscheint unser zweitältester Sohn mit einem Freund. „Papa, du willst dir doch nicht etwa so einen spießigen Anzug kaufen? Slim Fit ist der „Fashion-Mega-Trend“. Ich bin aber eigentlich nur hier, um mir Taschengeldvorschuss abzuholen. Ich möchte mir ein megatrendiges Computerspiel kaufen", lässt er Ernst und mich wissen. Dieser wird auf einmal lebhaft und verkündet strahlend in die Runde: „Du kommst, wie gerufen, Sohnemann. Wie schön, dass du mich unterstützt, denn ich bin ganz deiner Meinung. Mein alter Anzug sitzt zwar figurbetont, ist aber deshalb auch im angesagten Slim-Fit-Trend, und ich brauche keinen „Neuen“. Das finde ich prima.“ Der verdutzten Verkäuferin hält er jetzt den nicht anprobierten Anzug hin und verschwindet mit den zwei Jungs eiligen Schrittes in Richtung Rolltreppe. Äußerst angeregt unterhalten sich die drei ganz sicher über die neuesten Computerspiele.
 
Ich überlege: Könnte es sein, dass mein Mann und unser Sohn „unter einer Decke stecken“? Wahrscheinlich, denn Taschengeldvorschuss ist eigentlich gar nicht so Ernsts’ Sache. Jedenfalls muss dieser sich nun nicht zwischen mindestens fünf Anzügen inklusive passender Krawatte entscheiden. Ja, und unser Mittlerer freut sich schon auf sein neues Computerspiel. Bisher hatte ich eigentlich auch nie den Eindruck, dass sich mein lieber Ernst für diese interessieren würde. Aber bekanntermaßen „heiligt ja der Zweck die Mittel“. Die Verkäuferin schaut mich jetzt leicht „pikiert“ an und bemerkt, dass sie Zweifel hätte, dass der Slim-Fit-Trend für die Figur meines Mannes das Richtige sei. Auch ich hege diese Zweifel und mit uns wahrscheinlich viele der anwesenden Damen auf dem anstehenden Fest. Den Herren wird es vermutlich egal sein. Ich höre schon, wie die Ladys hinter meinem Rücken tuscheln, woran es denn liegen könne, dass Ernst in einem „figurbetonten“ Anzug erschienen sei. Mein neues rotes und bestimmt kostspieliges Kleid, mit dem ich mich „aufgetakelt“ hätte, sei ganz sicher der Grund, dass mein armer Mann seinen alten, überaus knapp bemessenen Anzug anziehen musste. Bei dieser Vorstellung fängt es an, in meinem Nacken zu kribbeln. Das Gefühl von Scham steigt in mir hoch. Man nennt es, glaube ich, „Fremdschämen“. Was für ein blö … Wort!
 
Der, dem es eigentlich peinlich sein sollte, ja, der wird wahrscheinlich „megalässig“ und sehr charmant mit einer jungen, attraktiven Frau flirten und versuchen, damit von seinem „Anzugproblem“ abzulenken. Oder sollte es nur ein „Problemchen“ für ihn sein? Es könnte sein, denn damals, vor vielen Jahren, hat er mich mit seiner tollen Ausstrahlung, so um den kleinen Finger gewickelt, dass sogar mir seine schlecht sitzende Jeans nicht aufgefallen ist. Und wenn, hätte es mich damals gestört?
 
Ich muss jetzt lächeln! Mode war und ist einfach nicht seine Sache!

Der Text wurde im Gemeindeblatt "Lahntal-aktuell" veröffentlicht und an die Vereinsmitglieder der "Kunstfreunde Wetter" und andere Interessierte weitergeleitet.      
                                                                          
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