Dann doch lieber`n Hund - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Dann doch lieber`n Hund


Heute Abend schwebte ein appetitlich würziger Duft durch unsere Küche, denn es gab Spaghetti Bolognese. Es war eines der vielen Lieblingsgerichte der Familie, allesamt große Genießer. Mein lieber Ernst war der Ansicht, dass ganz sicher er dieses Gen an die Kinder weitergegeben hätte. Er, ein emotionaler Mann, der immer großzügig Komplimente verteilt, schwärmte: „Es hat mal wieder ganz köstlich geschmeckt. So gut wie im „San Remo“. Eigentlich noch besser“. Er schmunzelte. Die Stimmung war heiter und entspannt, richtig gemütlich. Wir waren gerade beim Nachtisch angekommen, es gab natürlich italienisches, leckeres Stracciatella-Eis, als unsere kleine Tochter zu Ernst und mir sagte: „Es wäre so schön, wenn ich noch ein kleines Brüderchen zum Spielen bekommen würde, oder seid ihr etwa schon zu alt dafür?“ Ernst schaute mich, seine Stirn runzelnd an und sagte: „Ja vielleicht, aber wir können das gleich jetzt am Samstag mal ausprobieren …“. Weiter kam er nicht, da unsere zwei Jungs, der eine im Flegelalter, der andere gerade volljährig geworden, prustend anfingen zu lachen. Unsere Kleine schaute verständnislos in die Runde. Ich amüsierte mich. Bei Ernst hatte sich, wie immer, wenn er sich ärgerte, eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen gebildet, als er sagte: „Vorsicht Jungs! Ganz dünnes Eis!“ Er erzählte uns nun, dass Julia Klinger, seine Sekretärin, ihn gefragt hätte, ob ihr kleiner Jonas, gerade ein halbes Jahr alt geworden, am kommenden Samstag bei uns übernachten könnte. Ihr Mann und sie würden gerne mal eine Übernachtung in einem Wellnesshotel machen. Mal ein bisschen entspannen. Jonas wäre ein absolut braves und pflegeleichtes Baby und es gäbe ganz sicher keine Probleme mit ihm. Ernst meinte, dass er als Pate natürlich gerne zusagen und sich durchaus auch freuen würde, außerdem bekäme die gesamte Familie so auch gleich eine Kostprobe zum Thema „kleines Brüderchen“. Auch unsere Kleine freute sich, ich war skeptisch, die Jungs grollten. Der Mittlere, weil er jetzt die geplante Probe mit seiner Band im heimischen Keller absagen musste, ebenso unser Großer, der seine Freunde zu einer Party im heimischen Wohnzimmer eingeladen hatte. Uns wollte er an diesem Abend ins Kino und danach ins „San Remo“ schicken und die kleine Schwester bei den Großeltern parken, wie uns betont cool erzählte. Ernst und ich kamen per Blickkontakt überein, diese respektlose Bemerkung aufgrund der angespannten Situation erst einmal souverän zu ignorieren. Ja, so hatte der kleine Jonas die Pläne unserer Jungs ziemlich durchkreuzt und das gemeinsame Abendessen endete mit entsprechend „durchwachsener“ Stimmung.
 
Nun war er da, der besagte Samstagabend. Unsere Jungs „flüchteten“, wie es zu erwarten war, die Kleine dagegen war freudig aufgedreht. Mein lieber Ernst dagegen befürchtete das Schlimmste, denn nachdem ich das niedliche Baby begrüßt hatte, erlitt ich ganz plötzlich einen „Hexenschuss“. Vielleicht eine falsche Bewegung? Vor Schmerz schossen mir die Tränen in die Augen. Unsere Tochter, ein emphatisches Kind, fing sogleich an zu weinen und Jonas, scheinbar auch sensibel, stimmte mit ein. Jedoch laut schreiend. Jetzt war Ernst gefordert. Ich wurde aufs Sofa gebettet und mit Schmerzmitteln und Heizkissen versorgt. Das weinende und auch das schreiende Kind legte er mir in der fälschlichen Annahme, ich könnte die beiden trotz heftiger Schmerzen beruhigen, in die Arme. Es sollte auch nicht funktionieren, denn Jonas schrie weiterhin wie am Spieß, denn anscheinend wurde er nun auch noch von starkem Heimweh geplagt. Ernst nahm den schreienden, kleinen Kerl auf den Arm und trug ihn beruhigend auf ihn einredend durchs ganze Haus, treppauf, treppab, immer wieder auch im Wohnzimmer nach „dem Rechten“ schauend. Mir ging es zum Glück etwas besser, denn das „Vorlesen“ aus Bilderbüchern machte unserer Kleinen ausdauernd Spaß und milderte auch meine Schmerzen. Jonas war leider von Ernsts Beruhigungsmaßnahmen gänzlich unbeeindruckt. Er schrie und schrie, war inzwischen krebsrot im Gesicht und hatte ganz verheulte Augen.
 
Ernst machte einen abgekämpften, aber auch zuversichtlichen Eindruck, als er mit Jonas auf dem Arm ins Wohnzimmer zurückkehrte. Er sagte lächelnd: „Schatz, wenn die Teefläschchen und das Umhertragen bei unseren Kindern damals nichts half, dann gab es doch immer noch die eine rettende und geniale Idee: Schlaflieder singen und dazu auf meiner Gitarre spielen.“ Gesagt, getan. Es folgten in immer wiederkehrender Reihenfolge: <guten Abend, gute Nacht>, <Schlaf, Kindlein schlaf> und <der Mond ist aufgegangen>, bis Jonas und auch unsere Tochter eingeschlafen waren. Ernst und ich kamen beide aus unterschiedlichen Gründen erschöpft und müde überein: Statt eines kleinen Brüderchens gibt es, wenn überhaupt, dann doch lieber’n Hund!
 
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