"Papi, du wolltest doch nicht ..." - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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"Papi, du wolltest doch nicht ..."


Mein lieber Ernst erzählte uns, dass er vorhätte, anlässlich meines Geburtstages beim Sektempfang eine Rede zu halten. Strahlend blickte er in die Familienrunde: »Und was haltet ihr davon?« Unsere Jungs seufzten und sagten wie aus einem Mund: »Muss das sein?« Unsere Kleine war davon ebenso begeistert wie ihr Vater: »Cool Papi, aber rede ja nicht so viel wie Onkel Ulli und Tante Birte. Das ist voll langweilig.« Ernst räusperte sich und sagte dann: »Weißt du, Onkel Ulli ist schon älter und muss etwas länger überlegen, was er sagen möchte. Das kann dauern. Bei Tante Birte ist es anders. Da sie sehr temperamentvoll ist, sprudeln die Worte nur so aus ihrem Mund. Ich glaube, es ist schwierig für beide, das zu ändern. Sie können nicht aus ihrer Haut, wie man so sagt. Wir sollten uns in Nachsicht üben, obwohl das manchmal nicht einfach ist. Dass ich nicht so viel erzählen werde, wie die zwei, verspreche ich dir hiermit.«

Ich lächelte Ernst an: »Schatz, dass du eine Rede halten willst, ist sehr lieb von dir. Aber du weißt, dass ich solche Situationen nicht immer genießen kann. Mal ja, mal nein. Kommt ganz darauf an. Du kennst mein Naturell. Aber ich freue mich trotzdem über deine Idee und fühle mich ein bisschen geschmeichelt.« Ernst grinste. »Genau das möchte ich bezwecken. Ich habe die Hofffnung, dass es den von mir so geliebten Kartoffelsalat mit Bockwurst dann noch häufiger gibt. Weißt du, an besonderen Ereignissen werden immer viele Reden geschwungen. Ich möchte das bewusst anders machen und dir an deinem normalen Geburtstag wertschätzende Worte sagen. Es wird dir gefallen, ganz bestimmt. Wir alle sollten viel mehr loben, einfach so, ohne besonderen Anlass. Und über dich, Schatz, gibt es immer viel zu sagen. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr fällt mir ein.« Ich runzelte die Stirn. »Ernst, fasse dich bitte kurz. Du weißt, die Sache, ist nicht ganz so mein Ding.« Jetzt mischte sich meine Schwiegermutter ein: »Liebes, wieso nicht dein Ding? Wie schade, dass dir Momente, in denen du im Mittelpunkt stehst und anerkennende Worte hörst, missfallen. Ich finde sie wunderbar und würde sie gern viel, viel öfter erleben. Auch eine Rede halten, ist bekanntermaßen ja nicht jedermanns Sache. Aber mein Ernst und ich machen das sehr gern. Nicht wahr, Sohnemann?« Sie strahlte Ernst an. Mein Schwiegervater lächelte mild, die Jungs seufzten leise. Unser Großer runzelte, seine Stirn: »Papa, ich verstehe nicht, weshalb es hin und wieder Streit zwischen euch gibt, wenn die Mama deiner Meinung nach so toll ist?« Ernst schmunzelte jetzt und sagte: »Wie gut, Sohnemann, dass du mich an die Macken und Marotten der besonderen Art einer Prinzessin auf der Erbse erinnerst. Ich werde sie nur am Rande erwähnen, sonst könnte meine Rede zu lang und die Vorsuppe kalt werden. Nur keine Sorge, meine Lieben, da ihr mich kennt, wisst ihr, dass ich mich wie immer kurzfassen werde.« Ernst grinste, unsere Jungs sahen sich an und seufzten erneut.
 
Eine Woche später feierten wir meinen Geburtstag, und Ernst hielt seine Ansprache. Schon nach den ersten Sätzen meldete sich plötzlich und unerwartet unsere kleine Tochter sehr ungehalten zu Wort: »Papi, du, wolltest doch nicht so viel reden, wie Tante Birte und Onkel Ulli! Du hattest es versprochen.«
 
Jäh wurde Ernst in seinem Redefluss unterbrochen. Ein ungebetener Gast trat jetzt ein: peinliche Stille.
 

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