"dicke Luft"
Mein lieber Ernst, war er das in diesem Moment? Jedenfalls kam er ins Wohnzimmer und sagte erstaunt: »Schatz, warum liegst du denn zusammengerollt wie ein Igel und zugedeckt bis zur Nasenspitze auf dem Sofa? Ich finde es nicht kalt. Mir ist es eher zu warm. Also, was ist los? Wenn es nicht die Temperatur ist, dann liegt doch bestimmt dein Gefühlsleben im Minusbereich. Soll ich dich vielleicht wärmen oder willst du lieber nur reden oder beides oder vielleicht auch beides nicht?« Ich antwortete leicht ungehalten: »Natürlich beides!«
Ernst wartete geduldig. Geduldig? Jedenfalls sagte er nichts. Ich seufzte und sagte: »Ich fühle Melancholie.« «Er schaute mich fragend an. Ich seufzte erneut. »Ernst, interessiert dich gar nicht, warum?« Jetzt seufzte auch er. »Schatz, da ich dich kenne, weiß ich, dass du es mir gleich erzählen wirst. Also, warum bist du so traurig? Wahrscheinlich gibt es Änderungswünsche an mich und vielleicht auch an die Kinder? Ich habe doch recht.« Anklagend sagte ich: »Wenn du schon meine Antwort weißt, warum fragst du dann noch?«
Ernst räusperte sich. Ich spürte, dass er jetzt Mühe hatte, seinen Unmut zurückzuhalten. Mir kamen die Tränen. »Es wird mir einfach alles zu viel. Wirklich. Jeden Tag das Gleiche, immer der gleiche Stress. Täglich frage ich mich, ob ich alles richtig geplant oder vielleicht doch etwas vergessen habe. Und das alles mache ich nicht nur für mich. Nein, das alles mache ich im Wesentlichen für euch. Dann muss ich sämtliche Termine notieren. Ja, und um unsere Eltern muss ich mich auch immer mehr kümmern. Ich, Ernst, ja, ich, nicht du. Und immer jeden Tag aufs Neue der ganze Haushaltskram. Jeden Tag muss ich mich um die Wäsche kümmern, kochen, putzen, usw, usw. Es geht mir alles nur noch auf die Nerven. Für meine eigenen Sachen, die euch wahrscheinlich nicht wichtig, aber für mich bedeutungsvoll sind, bleibt kaum Zeit. Ja, und vor allem Ernst, wo bleibt euer Dank für das alles? Ich fühle mich einfach nur noch müde, frustriert und sehr, sehr traurig.« Erneut kamen mir die Tränen.
In mitfühlendem Ton sagte er: »Schatz, ich habe durchaus den Eindruck, dass du von uns allen sehr geliebt und wertgeschätzt wirst. Warum hast du nicht früher mit mir geredet? Ich kann dich durchaus verstehen. Lass deinen Tränen ruhig freien Lauf und entspann dich. Du musst dich nicht immer so unter Druck setzen, nicht immer funktionieren und dich nicht für alle und alles verantwortlich fühlen.« Kurzes Schweigen. »Weißt du, ich glaube, dass deine Energie und fröhliche Natur stärker sind als die momentane schlechte Stimmung. Spontan habe ich eine prima Idee. Die Jungs und ich könnten uns zum Beispiel selbst um unsere Termine kümmern.« Ich in leicht aufgebrachtem Tonfall: »Ach, Ernst, das funktioniert doch nie. Ich kenne euch. Ihr werdet die Hälfte vergessen.«
Nun änderte sich sein Tonfall. »Das ist jetzt eine Unterstellung. Ich versuche dir zu helfen, und was machst du? Funkst gleich wieder dazwischen. Und das äußerst unwirsch. Manchmal bringst du mich an den Rand der … na, ja. Noch mal etwas zum Thema Dankbarkeit: Dankst du mir, dass ich meine Arbeit mit der Verantwortung für sehr vieles hinbekommen muss und selbstverständlich auch will? Dankst du den Kindern, dass sie ihren ganzen Schul- und Kita-Kram so gut hinbekommen? Ich freue mich sehr darüber und bin beruhigt, dass alle drei genügend Energie haben, auch wenn diese sie gelegentlich mal in die falsche Richtung führt.«
Meine Tränen versiegten, ich lenkte ein: »Na, ja, vielleicht hast du teilweise recht.« Ernst, sehr ungehalten: »Teilweise? Ich muss feststellen, dass du momentan sehr undankbar bist und anscheinend sehr gern in Selbstmitleid badest.« Schon wieder war ich den Tränen nahe. »Doch, ja, du hast recht und ja, ich bin selbst mitleidig. Das fühlt sich scheußlich an.«
Es folgte ein längeres Schweigen, dann lächelte ich ihn an. »Danke, Schatz, dass du mir helfen willst. Vielleicht habe ich im Moment vergessen, dass auch ihr, du und die Kinder so euren Stress habt. Allerdings musst du zugeben, dass ihr am Wochenende immer freihabt und keine sogenannten Hausfrauenpflichten wie ich. Ach, ich weiß auch nicht so genau, was mit mir los ist. Ich habe Halsschmerzen. Vielleicht werde ich krank.« »Krank, das könnte passen, denn du fühlst dich ja auch von den Kindern und mir gekränkt. Passend ist aber auch, dass Wochenende ist. Du ruhst dich jedenfalls erst mal aus und über deine sogenannten Wochenendpflichten sollten wir später auch mit den Kindern sprechen. Vor allem die Jungs solltest du wesentlich mehr einspannen und sie nicht so, ich nenne es jetzt mal verhätscheln. Ja, auch ich muss eingestehen, dass, wenn Routine einkehrt, man, in diesem Fall ich, bequem und unaufmerksam wird. Das sollte nicht sein. Es tut mir leid. Zur allgemeinen Entlastung könnten wir über eine Haushaltshilfe nachdenken, damit du auch zu dem kommst, was dir selbst wichtig ist. Heute und morgen übernehmen die Kinder und ich jedenfalls den Küchendienst. Entweder gibt es Strammer Max oder wir gehen ins San Remo. Die Kinder, na, ja, auch ich, wir werden für Letzteres plädieren.« Ernst räusperte sich, lächelte.
In diesem Moment waren im Flur die Stimmen unserer Kinder zu hören, die bemängelten, dass ich heute anscheinend vergessen hätte zu kochen. Unser Großer schaute durch die nur einen Spaltbreit geöffnete Tür ins Wohnzimmer: »Mama, was ist los? Es duftet ja gar nicht nach Frikadellen? Es riecht eher nach dicker Luft!« Schnell schloss er die Tür.