"Auf Wolke 7" oder der "Brausepulver-Effekt" - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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"Auf Wolke 7" oder der "Brausepulver-Effekt"


Unsere Kleine rümpfte ihre Nase und sagte: »Puh, ihr stinkt«, als ihre großen Brüder am Samstagabend ins Wohnzimmer kamen. Ich dachte: Ja, sie hat irgendwie recht, denn unsere Jungs duften intensiv nach Ernst' neuem und teurem Duftwässerchen. Anscheinend haben sie vor, auf Brautschau zu gehen, auch an ihrem modischen Outfit zu erkennen. Unser Mittlerer konterte: »Kleine Schwester, du hast doch noch keine Ahnung von so manchen Dingen und bist neidisch, dass du mit Mama und Papa gelangweilt vor dem Fernseher hocken musst.« Dann war von unseren Jungs nur noch ein kurzes Tschüss zu hören.
 
Mein lieber Ernst und ich schauten uns mit einem, das waren damals noch Zeiten - Blick an. Wir kamen wortlos überein, uns erst dann zu erinnern, wenn unsere Kleine im Bett wäre. Gemütlich auf dem Sofa sitzend sagte ich: »Schatz, du warst damals genauso drauf wie unsere zwei heute. Hast auch nur die Klamotten getragen, die gerade angesagt waren, besonders dann, wenn du mit deiner Band ein Konzert gespielt hast, obwohl dich Mode schon damals eigentlich nicht interessiert hat. Du konntest die Mädchen und Frauen, ich muss es ehrlicherweise zugeben, damit auch sehr beeindrucken, mich nur ein ganz kleines bisschen.« Ich lachte leise. Ernst grinste. »Nur, ein kleines bisschen?« Ich lenkte ein: »Na ja, vielleicht war es ein klitzekleines bisschen mehr, denn du hast mir in manchen Momenten den Atem genommen. Meiner Sprachlosigkeit war ich dann hilflos ausgeliefert. In deiner Gegenwart spürte ich oft dieses beunruhigende, aufregende Herzklopfen und dachte, dass Liebe wie Wind ist, nicht sichtbar und doch vieles bewegt. Die Wolke 7, auf der ich saß, fühlte sich himmlisch an. Theoretisch wäre ich sogar in der Lage gewesen, dir den Mond vom Himmel zu angeln. Beim Blick in deine Augen ahnte ich deine Gefühle und wusste, nein, ich fühlte, dass ich dir vertrauen konnte.«
 
Ernst nahm meine Hand, lächelte und sagte. »Schatz, auch du hast sicher bald gemerkt, dass ich mir sehr oft viele Gedanken gemacht habe, wie ich dich beeindrucken und für mich gewinnen könnte. Du warst anders als die meisten, etwas ganz Besonderes, sehr natürlich und echt. Mit dir konnte ich deshalb auch so sein, wie ich war, habe dir schnell vertraut und musste keine Rolle spielen. Auch so insgesamt fühlte ich mich viel freier und durch deine Liebe selbstbewusster. Wenn ich dich sah, wurde mir warm ums Herz und ich spürte so ein Prickeln in mir. Ich nannte es Brausepulver-Effekt. Das war aufregend und ich fühlte mich dir gegenüber etwas befangen. In diesen Momenten war die Zeit verdichtet, mit unseren nicht ausgesprochenen Worten. Es war Energie pur. Auch musste ich dich immer ansehen. Das zu kontrollieren, war sehr schwierig, denn ich war sehr verliebt in dich. Na ja, ich bin es noch.«
 
Ernst lächelte mich an und wir meinten beide, dass es schön sei, durch Erinnerungen Gefühle wieder lebendig werden zu lassen.
 
Am nächsten Tag berichteten unsere Jungs von ihrer Brautschau, die sehr unterschiedlich verlaufen war. Der Mittlere, 16 Jahre alt, schwebte auf der, auch mir gut bekannten Wolke 7, da er seiner Traumfrau begegnet sei. Nur die und keine andere würde er mal heiraten. Noch nie hätte er solches Herzklopfen gehabt, immer an sie gedacht und die letzte Nacht kaum geschlafen. Sehr, sehr oft hätte er sie ansehen müssen und so ein ganz besonderes, aufregendes Prickeln gespürt. Ernst und ich blickten uns an: eindeutig Brausepulver-Effekt!
 
Unser Großer erzählte uns von seinem Liebeskummer. Seine Angebetete hätte einem anderen mit Erfolg schöne Augen gemacht. Ja, sie wäre wirklich wunderschön und er immer noch sehr verliebt in sie. Dass sie nicht das Gleiche für ihn empfinden würde, müsste er wohl akzeptieren. Seine Trauer und Verzweiflung waren ihm anzusehen.
 
Ich spürte Mitgefühl, umarmte ihn, dankte ihm für sein Vertrauen und ließ ihn wissen, dass wir ihm beistehen, anteilnehmen würden. Ernst machte ihm den Vorschlag, ihr doch die Sterne vom Himmel zu holen. Wenn sie ihm wirklich wichtig sei, dürfe er jetzt nicht aufgeben. Er müsse sie unbedingt beeindrucken und sich etwas ganz Besonderes für sie einfallen lassen, um positiv auf sich aufmerksam zu machen. Mädchen und Frauen würden kreative Jungs und Männer bewundern und sich verlieben. Er nannte, wie so oft Goethes, seines Vaters und eigenes Erfolgsrezept: TUN! Diese Methode sei nach wie vor sehr wirksam. Auch sei er überzeugt, dass sein natürlicher Charme, den er an ihn und seine Geschwister vererbt hätte, in allen Lebenslagen, besonders in schwierigen, etwa das Thema Frauen betreffend, äußerst hilfreich sei. Ich schmunzelte und sagte Kopf schüttelnd: »Ernst Schatz, bitte.«
 
Vor einigen Tagen hatte auch unsere Kleine von ihren Brausepulver-Erfahrungen erzählt. Sie und Max aus ihrer KITA würden sich gern gegenseitig das Pulver in die Hand streuen und dann darauf spucken. Der Schaum und das Prickeln wären so toll, dass sie dann beide lachen müssten.
 
Ich dachte, sollten mein lieber Ernst und ich vielleicht immer Brausepulver im Vorrat haben, falls unsere Erinnerungen eine prickelnde Auffrischung brauchen?
 
Text wurde an die Vereinsmitglieder der Kunstfreunde Wetter und andere Interessierte weitergeleitet

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