"Auf Wolke 7" oder der "Brausepulver-Effekt"
»Puh ihr stink«, war der Kommentar unserer Kleinen, als ihre großen Brüder am Samstagabend ins Wohnzimmer kamen. Sie hatte recht, denn die zwei waren von einer Duftwolke umgeben. Es erinnerte mich sehr an Ernst, neues und teures Duftwässerchen. Da sie zurzeit solo waren, hatten sie vor, auf Brautschau zu gehen, denn ihr Styling war entsprechend. Unser jüngerer Sohn konterte: »Du hast doch noch keine Ahnung von so manchen Dingen, kleine Schwester und bist neidisch, dass du mit Mama und Papa vorm Fernseher hocken musst.« Dann war von unseren Jungs nur noch ein kurzes Tschüss zu hören.
Mein lieber Ernst und ich schauten uns mit einem, das waren damals noch Zeiten Blick an. Wir kamen wortlos überein, erst dann in Erinnerungen zu schwelgen, nachdem unsere Kleine im Bett wäre. Gemütlich auf dem Sofa sitzend sagte ich: »Schatz, du warst damals genauso drauf, wie unsere zwei heute. Hast auch nur die Klamotten getragen, die gerade besonders angesagt waren, obwohl dich Mode schon damals nicht interessiert hat. Wenn du mit deiner Band einen Auftritt hattest, konntest du die Mädchen, ich muss es ehrlicherweise zugeben, sehr beeindrucken. Sie fanden dich alle toll, ich nur ein kleines bisschen.« »Nur, ein kleines bisschen? Dann habe ich etwas falsch gemacht.« Ernst grinste. Ich lenkte ein: »Na ja, vielleicht war es doch ein klitzekleines bisschen mehr, denn in deiner Gegenwart spürte ich oft diese beunruhigenden, aufregenden Herzklopfen Momente und dachte, Liebe ist wie Wind, nicht sichtbar und doch kommt vieles in Bewegung. Die berühmte Wolke 7, auf der ich saß, fühlte sich himmlisch an. Theoretisch wäre ich in der Lage gewesen, dir den Mond vom Himmel zu angeln. Beim Blick in deine Augen habe ich deine Gefühle geahnt und es war, als würdest du mir den Atem nehmen. Meiner Sprachlosigkeit war ich hilflos ausgeliefert. Ich erinnere mich, dass ich bald wusste, dass ich dir vertrauen konnte.«
Ernst nahm meine Hand, lächelte und sagte. »Schatz, du hast sicher schnell gemerkt, dass ich mir sehr oft viele Gedanken gemacht habe, wie ich dich beeindrucken und für mich gewinnen könnte. Du warst etwas ganz Besonderes für mich, natürlich und echt. Mit dir konnte ich so sein, wie ich war, habe dir vertraut und musste keine Rolle mehr spielen. Fühlte mich freier und selbstbewusster. Das ist bis heute so geblieben. Wenn ich dich sah, hat das bei mir einen Brausepulver-Effekt ausgelöst, denn ich spürte dann so ein Prickeln in mir. Das war sehr aufregend und irgendwie einschüchternd. Die Zeit war verdichtet mit unseren nicht ausgesprochenen Worten. Es war Energie pur. Ich musste dich immer ansehen. Das zu kontrollieren, ist mir nie gelungen. Es waren magische Augenblicke! Ich war sehr verliebt in dich.«
Wir lächelten uns an und waren der Meinung, dass es schön sei, dass durch Erinnerungen Gefühle wieder lebendig werden können.
Die Brautschau unserer Jungs war am gestrigen Abend sehr unterschiedlich verlaufen. Der Mittlere, 16 Jahre alt, schwebte auf der, auch mir gut bekannten Wolke 7, da er einer megatollen Traumfrau begegnet sei. Nur die und keine andere wolle er mal heiraten. Noch nie hätte er solches Herzklopfen gehabt, immer an sie gedacht und die letzte Nacht kaum geschlafen. Sehr, sehr oft hätte er sie ansehen müssen und so ein ganz besonderes Prickeln gespürt. Ernst und ich blickten uns an: eindeutig Brausepulver-Effekt!
Unser Großer erzählte von seinem Liebeskummer. Der gestrige Abend wäre für ihn eine Katastrophe gewesen. Seine Angebetete hätte einem anderen mit Erfolg schöne Augen gemacht. Ja, sie habe auch wirklich sehr schöne Augen, in die er sich auf der letzten Party verliebt hätte. Dass sie nicht das Gleiche für ihn fühlen würde, müsse er wohl akzeptieren. Trauer und Verzweiflung waren ihm anzusehen. Zum Trost sah ich mich schon in Gedanken Schokopudding kochen.
Mein lieber Ernst machte ihm den Vorschlag, ihr die Sterne vom Himmel zu holen. Wenn sie ihm wichtig sei, dürfe er jetzt nicht aufgeben. Er müsse sie unbedingt beeindrucken und sich etwas ganz Besonderes für sie einfallen lassen, um positiv auf sich aufmerksam zu machen. Mädchen und Frauen würden kreative Jungs und Männer bewundern und sich in sie verlieben. Er nannte, wie so oft Goethes, seines Vaters und eigenes Erfolgsrezept: TUN! Diese Methode sei damals und bis heute sehr wirksam. Ernst grinste mich an. Auch meinte er, dass er durchaus optimistisch in die Zukunft schauen könnte, da er seinen natürlichen Charme geerbt hätte.
Auch unsere Kleine hatte schon Brausepulver-Erfahrungen gemacht. Sie und Max aus ihrer KITA würden sich gern gegenseitig das Pulver in die Hand streuen und dann darauf spucken. Der Schaum und das Prickeln wären so toll, dass sie beide lachen müssten.
Ich dachte, sollten mein lieber Ernst und ich vielleicht immer Brausepulver im Vorrat haben, falls unsere Erinnerungen eine prickelnde Auffrischung brauchen?