Ja, so ist er mein lieber Ernst und ...! - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Ja, so ist er mein lieber Ernst und ...!


„Schatz, wir brauchen unbedingt eine neue Waage. Kann überhaupt nicht sein, dass ich so viel zugenommen habe. Wahrscheinlich ist sie kaputt.“ Mein lieber Ernst wirkte ziemlich frustriert. „Schatz, ich glaube, die Waage ist o k. Mein Gewicht zeigt sie unverändert und ziemlich konstant an. Du hast wahrscheinlich durch Corona fünf Kilo zu viel drauf und befindest dich in guter Gesellschaft, wenn man den Medien glauben will. Dagegen kannst du, wenn du willst aber etwas tun. Wie man Kalorien einsparen kann, das weißt jeder und vielleicht meldest du dich außerdem noch im Fitnessstudio an? Wenn das alles gut klappt, gehe ich dann zur Belohnung mit dir shoppen. Macht dir dann auch bestimmt richtig Spaß.“ Ich lächelte ihn aufmunternd an.

Er grantelte und es zeigte sich eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen, als er sagte: „Shoppen gehen wird mir nie Spaß machen. Wenn du mich belohnen willst, dann brutzele mir lieber ein leckeres kleines Schnitzelchen.“ Ich hielt mich mit einem Kommentar zurück und es entstand eine kurze Gesprächspause. Ernst lächelte mich an: „Ich weiß nicht, wie du das mit deiner Figur hinbekommst. Für dein Alter wirklich noch passabel". Ich amete tief ein und lang aus. Die erneute Gesprächspause war ebenfalls lang. Ernst räusperte sich: "Also o k, ich werde mich gleich im Fitnessstudio anmelden. Wollen doch mal sehen, ob ich meine „alte“ Figur nicht wieder zurückbekomme. Das wäre doch gelacht!“ Ernst war wie immer voller Tatendrang, den ich sehr an ihm liebe, auch seine Spontanität. Beides führt leider nicht immer zu dem von mir erdachten Ergebnis. Er rief gleich wegen eines Termins im Studio an, auch der angesagte modische Dress wurde gekauft. Das überraschte mich sehr, denn mit dem Thema Mode hat Ernst ja nach eigener Aussage eigentlich nichts „am Hut“. Doch es könnte Ausnahmsweise einen Grund für ihn geben. Unser Großer, der schön länger in dasselbe Studio ging, hatte ihm erzählt, dass es nach dem Sport an der Bar sehr gesellig zugehen würde. Ich spürte, dass Ernsts Stimmungsbarometer stieg.

Dann war sein erster Termin gekommen. Am frühen Sonntagnachmittag stand mein Ernst „gestiefelt und gespornt“ vor mir. Er wirkte sehr fröhlich und sehr aufgekratzt, als er sagte: „Und Schatz, wie sehe ich aus? Ziemlich sportlich oder? Fühle mich jetzt schon so richtig fit. Der Saunabereich, der soll ja ganz toll sein. Ich hoffe, dass ich dort nicht die Zeit verplempere, denn ich will schon pünktlich zum Abendessen zu Hause sein. Übrigens, was kochst du denn Gutes?“ Ich lächelte ihn an und sagte: „Also für mich gibt es etwas Griechisches Schatz. Du könntest entweder zu meinen Eltern gehen und dort, wie unsere Kinder Gemüsesuppe essen, die ja auch schlank machen soll. Oder du isst ganz einfach zu Hause ein Brot mit Schafskäse und dazu Gurken und Tomaten. Ist ja auch ein bisschen griechisch.“ Ernsts Fröhlichkeit war gewichen, als er irritiert fragte: „Wieso isst du was Griechisches und unsere Kinder bei deinen Eltern Gemüsesuppe?“ „Weil ich mit den Leuten vom letzten Koch-Workshop heute Nachmittag wandern gehe und abends dann noch zum Griechen.“ Ernst klang mürrisch, als er wissen wollte: „Wieso hast du mir das denn nicht erzählt?“ „Weil du mich nicht gefragt hast, was ich am heutigen Sonntagnachmittag so vorhabe. War uns übrigens der Sonntagnachmittag eigentlich nicht immer so ein bisschen „heilig?“ Ich bemühte mich leichthin zu sagen: „So, Daniel holt mich gleich ab.“ Ernst runzelte die Stirn, als er wissen wollte: „Der Daniel?“ Ich daraufhin: „Ja, Daniel!“ Ernst Stimme klang jetzt etwas unsicher, als er sagte: „Sagst du nicht immer, dass du dich nie langweilst? Außerdem hast du zu mir gesagt, ich soll unbedingt ins Fitnessstudio gehen. Jetzt ist es aber auch wieder nicht richtig. Versteh einer die Frauen“. Ich spürte, dass mir die Tränen kamen, und konterte mit: „Ja, deiner Frau ist selten langweilig und deine Frau hat ganz bestimmt nicht gesagt, dass du dich an einem Sonntagnachmittag sportlich betätigen sollst. Diesen Termin hätte sie dir ganz sicher nicht vorgeschlagen. Du hättest ihn mit ihr absprechen können. Musst du denn immer so impulsiv und unüberlegt handeln. Sie ist jetzt enttäuscht und sauer. Ernst, es …“. Er wollte mich mit den Worten: „Schatz, es …“ in den Arm nehmen, als es an der Haustür klingelte. Es war Daniel vom Koch - Workshop. Ernst verzichtete darauf, diesen zu begrüßen und verschwand in Richtung Wohnzimmer, sodass ich ihm zurufen musste: „Ernst, mach`s gut. Bis heute Abend.“

Im Stillen dachte ich: Ja, so ist er nun mal, mein lieber Ernst! Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er heute Nachmittag nicht den erhofften Spaß im Fitnessstudio haben wird und stattdessen häufig an mich denken wird. Ja, wenn er sich für etwas euphorisch begeistert, und das passiert öfter, ist er schwer zu bremsen und kann dann nicht mehr über seinen „eigenen Tellerrand“ schauen. Ja, so ist er nun mal! Ich musste jetzt lächeln, denn ich wusste, dass Ernst höchstwahrscheinlich schon während er sich beim Sport „schindet“ Pläne schmiedet und mir gleich heute Abend seine genialen Ideen bezüglich unseres nächsten „heiligen“ Sonntagnachmittags unterbreiten wird. Bestimmt hat er die Hoffnung, seine Ideen könnten auch mich euphorisch begeistern.

Ja, so ist er mein lieber Ernst und ich auch!

Text wurde weitergeleitet an die Vereinsmitglieder der Kunstfreunde Wetter und andere lesebegeisterte Menschen

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