Urlaub im Sauerland - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
Direkt zum Seiteninhalt

Urlaub im Sauerland


Ernst steht an der Hotelrezeption, winkt und ruft quer durch die Eingangshalle: „Schatz, ich erkläre gerade dieser netten jungen Frau, dass der Wellnessbereich in süd-westlicher, genauer gesagt in süd-Süd-westlicher Richtung liegt“ und hält dabei seinen Kompass in die Höhe. Hab ich richtig gesehen? Hatte er wirklich den Inhalt sämtlicher Taschen seiner Weste auf dem Tresen der Rezeption ausgebreitet und tatsächlich vor, die Funktionen dieser Gegenstände zu erklären?

Der Schatz, das bin in diesem Fall ich winkt ihm nur ganz kurz zurück und geht eiligen Schrittes in die genannte Richtung, um dort Ruhe und Entspannung zu finden. Ich denke, wozu braucht er denn überhaupt einen Kompass im Sauerland und muss er denn quer durch die Eingangshalle rufen und einer attraktiven jungen Frau etwas erklären? Ich spüre einen leichten Anflug von Eifersucht. Mein lieber Ernst dagegen kennt angeblich keine Eifersucht. Diese kann ich allerdings hin und wieder aber auch bei ihm bemerken, was mir naturgemäß sehr gefällt. Ja, erklären und Vorträge halten, das macht er sehr gerne. Ich muss zugeben, er kann es auch sehr gut.

Da steht nun dieser Mann an der Rezeption eines 4-Sterne-Hotels im Sauerland, in Anglermontur, samt Gummistiefeln und mit diversen Angelruten über der Schulter. Den Rucksack und einen Hocker hat er auf dem Teppichboden abgestellt, ungeachtet der Tatsache, dass es sich um einen sehr, sehr feinen Teppichboden handelt. Ernst ist immer und überall Ernst, immer er selbst und entsprechend unangepasst. Ich muss sagen, gerade das liebe ich aber an ihm. Manchmal muss ich allerdings doch „die Luft anhalten“. Aber auch ich erfülle nicht immer alle Erwartungenden z B die von Ernst.  So „grantelt“ er immer über meine zugegebenermaßen hohe Anzahl von Gepäckstücken, die er aber dankenswerterweise dann doch immer schleppt. Sein Kommentar: „Ich denke, Du willst Wellness machen und hast deshalb meistens nur den Badeanzug an?“ Wieso dann die vielen Koffer?“ Ja, denkt er denn gar nicht an meine Abendgarderobe und an gemeinsame Ausflüge?

Überhaupt hatte Ernst nicht heute Morgen behauptet er hätte es sehr eilig? Gut, das war heute Morgen, bevor er auf die hübsche Frau an der Rezeption traf, denn er ist auf dem Weg zu einem der Seen im Sauerland, um seiner Passionen dem Angeln zu frönen.

Ja, genauso hat sich diese Szene vor 25 Jahren während eines Urlaubs im Sauerland abgespielt. Ernst hat sich, wie zu erwarten in vielerlei Hinsicht nicht geändert. Ich allerdings auch nicht, denn noch immer nehme ich zum Leidwesen von meinem lieben Kofferträger Ernst zu viel Gepäck mit. Ja, es war schön damals im Sauerland, denn das Wetter war sommerlich warm, fast wie in Italien, dass bevorzugte Reiseland der Familie. Das mediterrane Flair und das köstliche Essen sind ja auch wirklich wunderbar. Ernst und ich haben die komfortablen Hotelurlaube immer sehr genossen, wie später dann auch die Kinder.

Der Sommerurlaub 2020 wurde ganz anders! Weltweit waren die Menschen mit der Corona Pandemie und ihren entsprechenden Einschränkungen und Risiken beschäftigt. Das Reisen war deshalb schwierig geworden und der Familienrat hatte beschlossen, dass wir mal wieder Urlaub im Sauerland und zwar in einer Ferienwohnung machen könnten. Ernst war ganz glücklich, als er sich an seine Angelerfolge von damals erinnerte und auch die Kinder fanden die Idee ganz spannend, nicht ahnend, dass es dieses Mal nicht so komfortabel sein würde wie im Hotel. Der Große zog es spontan vor, statt Sauerlanurlaub lieber zu Hause die „sturmfreie Bude“ zu genießen, wissend, dass ihm Ernst, der immer großzügig ist, reichlich Taschengeld dalassen würde. Ja, und ich? Freute ich mich darauf, Ernst Fischfänge allabendlich auf mediterrane Art zuzubereiten? Nicht so wirklich. So vermisste ich dann auch den Komfort eines Hotelurlaubs mit Buffet, Zimmerservice und Abendveranstaltungen sehr. Schön war allerdings, die Kinder an unseren Urlaubserinnerungen und komischen Situationen von damals teilhaben zu lassen. Manchmal wurde ich allerdings beim Erzählen leicht rührselig. Na ja, die Familie kennt das schon und Ernst hält für solche Anlässe stets ein Taschentuch für mich bereit.

Dieser Urlaub war ganz anders, irgendwie aber auch etwas Besonderes. Wegen der vielen Einschränkungen waren wir als Familie entsprechend viel zusammen, was allerdings auch nicht immer ganz so einfach war. Dadurch sind wir uns allerdings auch näher gekommen und haben unsere guten und schwierigen Seiten, unsere Macken und Marotten intensiver als bei einem Hotelurlaub mit seinen diversen Ablenkungen erleben können.

Gerettet hat uns, wenn es gekriselt hat, vor allem meinen lieben Ernst und mich, unsere Geduld und Nachsicht füreinander und nicht zu vergessen auch unser Humor, denn wie heißt es doch so schön: Humor ist, wenn man trotzdem lacht!

Diese Kurzgeschichte wurde im Gemeindeblatt "Lahntal aktuell" Ausgabe 2020 Nr. 35 veröffentlicht.
 

Zurück zum Seiteninhalt