Die Qual der Wahl - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Die Qual der Wahl


«Schatz, geh doch schon mal ins Schlafzimmer und mach's dir gemütlich. Ich komme gleich nach.» Ernst schmunzelte. «Ich hole dir noch deinen ‚Kicker‘ so für zwischendurch.» Sein Schmunzeln war gewichen und er schaute jetzt irritiert. «Den ‚Kicker‘, so für zwischendurch?» «Ernst, du musst mir helfen, für die anstehende Feier, ein passendes Kleid auszuwählen und bekommst deshalb jetzt eine kleine Modenschau zu sehen. Zwischendurch kannst du ja im 'Kicker' lesen, denn es dauert eine Weile. Ich habe so manches im Kleiderschrank hängen.» «So manches?» «Schuhe in der passenden Farbe müssen wir auch noch aussuchen.» Ernst klang ungläubig erstaunt, als er fragte: «Schuhe auch noch?». Ich dachte, was hat er denn nur? Warum wirkt er so verärgert? Er ist doch sonst nicht so. «Ernst, du wiederholst mich. Wirst du etwa älter?». «Älter? Ich doch nicht. Also leg jetzt los» und er fing an, in seinem „Kicker“ zu blättern.

Zuerst zog ich das königsblaue Kleid an. Ernst schaute kurz von seinem „Kicker“ auf. «Königsblau geht gar nicht. Schalke Farbe. Stehen im Moment nicht gut da. Zieh doch mal das Rote an. Ist erstens meine Lieblingsfarbe und zweitens die Farbe des Bayern Trikot!», ermunterte er mich. «Mir ist im Moment nicht nach Rot Ernst». «Und wieso ist dir im Moment nicht nach Rot? Das muss man(n) aber jetzt nicht verstehen. Okay. Hast du kein Gelb-Schwarzes im Angebot? Die Dortmunder sind im Moment gar nicht so schlecht» erklärte Ernst mir und meinte, dass Fußball wohl nicht mein Thema sei. Ich seufzte: «Ach Ernst, bitte, du solltest eigentlich wissen, dass gelb mich blass macht. Deine Vereinsfarbenkommentare sind, nicht wirklich ziel fördernd. Aber was solls. Lass mich wissen, welche Farbe mir, außer gelb deiner Meinung nach am besten steht.» «Erstens Schatz, wieso sollte ich wissen, dass gelb deine Hautfarbe verändert und zweitens verstehe ich nicht, dass du mir meinen ‚Kicker‘ hinlegst und dich dann über meine Kommentare beschwerst. Aber weiter geht’s. Versuchs doch bitte jetzt mal mit schwarz. Steht dir doch so gut» Ernst seufzte gut hörbar. «Ja, vielleicht hast du recht. Außerdem ist „das Kleine Schwarze“ mein Lieblingskleid. Ich ziehe es mal an.» Ernst sah mich kopfschüttelnd und ungläubig an« Du kennst dein Lieblingskleid schon und dann probierst du trotzdem …? Ich fasse es nicht.» Leicht genervt am engen Kleid zupfend: «Ernst, bitte …» Dieser schüttelte erneut den Kopf, schaute mich dann aber strahlend an. «Schatz, du siehst wirklich ganz toll aus. So figurbetont. Klasse!» «Aber Ernst, das ist doch nicht figurbetont. Das Kleid ist zu eng. Siehst du das denn nicht? Ich merke, wir kommen so nicht weiter, weil eine Modenschau scheinbar nicht dein Thema ist. Vielleicht sollte ich erst mal die Schuhe holen. Ja, und dann müssen wir, nein eigentlich nur du auch noch überlegen, welchen Anzug du zu dieser Feier anziehen könntest. Schatz, aber auf gar keinen Fall den viel zu engen vom letzten Mal.» «Schatz, wieso müssen wir, beziehungsweise muss ich das jetzt auch noch überlegen? Der Anzug war und ist immer noch voll im Trend, weil „Slim fit“ noch immer angesagt ist.» «Ernst, warum bist du denn so gereizt? Eigentlich hätte ich, und nur ich, wirklich Grund dazu.» Seinen Kommentar nicht abwartend verließ ich kopfschüttelnd das Schlafzimmer, um die Schuhe zu holen. Als ich nach einer Weile zurückkam, bot sich mir ein Anblick, der mich nicht wunderte.
 
Ernst lag im Bett und schlief tief und fest. Oder tat er nur so, als ob? Denn war da nicht noch irgendetwas bezüglich seines Anzugproblems zu klären? Oder sollte das Problem überhaupt keins für ihn sein?
 
Auf jeden Fall wird er in spätesten in zehn Minuten vor dem Fernseher sitzen, denn Dortmund gegen Schalke ist angesagt. Pünktlich zum Anpfiff und putzmunter. Ich schmunzelte!
 
Dazu das passende Bild: Emmi oder die Qual der Wahl

Text und Bild wurde im Gemeindeblatt "Wetteraner Bote" Ausgabe 2023 Nr. 7 veröffentlicht, ebenso weitergeleitet an die Kunstfreunde Wetter und an andere lesebegeisterte Menschen
 


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