Survival-Fieber - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Survival-Fieber


Schon seit Wochen sind meine drei Männer, also unsere beiden Jungs und mein lieber Ernst im Survival-Fieber. Sie sind es im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie können sich bei ihren Diskussionen zum Thema Überlebenstraining so richtig in Hitze reden.
 
Ich stehe gerade in unserer Küche und bin mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigt, als Ernst mich auf den neuesten Stand ihres Survival-Trips bringen will. Es gibt auf Wunsch meiner drei ‘Überlebenskünstler’ eine deftig würzige Gulaschsuppe. Gut gelaunt, sagt er: «Das duftet ja köstlich, sehr appetitlich. Ich freue mich schon darauf und bestimmt auch die Jungs. Die beiden sind ja immer hungrig. Okay, in ihrem Alter ist das normal. Ich müsste dann eigentlich diesbezüglich dreißig Jahre jünger sein.» Schmunzelnd streichelt er seinen ‘Gourmethügel’, wie er seinen Bauch liebevoll nennt. «Schatz, du solltest mehr auf dein Gewicht, auf deine Gesundheit achten. Ich mache mir deshalb Sorgen», lasse ich ihn wissen. «Du hast recht. Ich ja eigentlich auch. Nach unserem Trip, der bestimmt schon Pfunde purzeln lassen wird, werde ich mich mit diesem leidigen Thema befassen. Meinen Doc würde es ganz sicher auch freuen.» Er seufzt. «Ernst, das Thema als leidig zu empfinden ist der falsche Ansatz. Freue dich doch und sei stolz, dass du dir nach dem Survival, besser wäre schon ab jetzt, etwas Gutes tun willst.» Er seufzt erneut. «Ja, ich müsste diesbezüglich mein Denken ändern. Du hast recht, aber es ist nicht so einfach für mich. Schatz, ich komme dabei an meine Belastungsgrenzen.» Jetzt schmunzelt er, weil er mir sogleich erklärt, wie wichtig es sei, die Jungs an ihre physische und psychische Belastungsgrenze heranzuführen. Auch sei es im Trend, ein Überlebenstraining zu absolvieren. Unsere zwei wären seiner Meinung nach Dank meiner liebevollen Fürsorge viel zu verweichlicht. Dieses ändere sich aber nun endlich, denn sie würden von ihm lernen, sich mit nur wenigen Hilfsmitteln in der wilden Natur durchzuschlagen. Die theoretischen Kenntnisse hätte er ihnen schon beigebracht, jetzt ginge es an die Praxis. In seiner Jugend sei er als sehr abenteuerlustig bekannt und entsprechend auch in der Natur unterwegs gewesen. Ich hätte ihn ja, damals als denjenigen kennengelernt und, wenn er sich richtig erinnere, unter anderem auch deshalb sehr bewundert. Ernst lächelt mich jetzt an und erzählt weiter, dass er deshalb auch wisse, dass der Mensch theoretisch drei Wochen ohne Nahrung überleben könne, aber nur drei Tage ohne Wasser. Deshalb sei ein Wasserfilter auch sehr wichtig. Ebenso ein Survival-Messer, um Tiere zu häuten und auszunehmen. Das Fleisch und die Forellen würden dann allerdings ohne viel Firlefanz an Gewürzen über dem Lagerfeuer gebraten.
 
Weiter kommt er nicht, denn von unserem jüngeren Sohn, der vom köstlichen Duft der Suppe angezogen die Küche betritt, kommt ein entrüstetes: «Papa, Feuer machen, das bekomme ich hin, aber das andere ist dein Job. Wenn ich nur daran denke, wird mir schon speiübel. Ich werde in dem Fall mal ganz locker unseren Trip unterbrechen und mir Currywurst, Pommes und eine Cola genehmigen.» «Oh nein, mein Sohn. Du solltest das Training unbedingt durchziehen und dich im Durchhalten üben, damit du hinterher stolz auf dich sein kannst. Später würdest du es ganz sicher bereuen, wenn du unterbrichst oder vorzeitig aufgibst. Du solltest darüber nachdenken», kommentiert Ernst den Einwand unseres Mittleren ungewohnt ernsthaft. «In diesem Fall gebe ich Papa mal recht. Du bist ja ein richtiger ‘Softie’ kleiner Bruder» bestätigt unser Großer seinen Vater, als ernst zu nehmenden Pädagogen. «Oh lecker, es gibt Softeis zum Nachtisch» betritt unsere Kleine hörbar freudig die Küche. «Softeis gibt es nicht im Supermarkt, aber ich weiß, wo ein Stand ist. Wir könnten morgen zuerst dort hingehen und danach noch ins Kinderkino. Hast du Lust?» will ich von ihr wissen. «Au ja, eine super Idee. Nur wir beide, ohne unsere drei Männer», kommt es ganz begeistert von unserer kleinen Tochter.
 
Unser Großer: «Eis ist immer eine super Idee. Würde auch gut zu unseren selbst gesammelten Beeren passen. Das wäre ein prima Nachtisch, denn wir könnten doch unseren erfolgreich abgeschlossenen», er unterbricht kurz mit einem Blick auf seinen Bruder «Survival-Trip mit einer Grillparty beschließen. Der Vorschlag kommt von meiner Freundin, weil sie unseren Trip ganz toll findet. Wir drei nehmen ja bestimmt außer unseren Angelruten, auch unsere Gitarren mit. Die sind super für die Partystimmung und gegen unseren Frust, falls die Forellen nicht so richtig beißen wollen.» Ernst sagt: «Schöne Idee, mein Großer. Ja, wir sollten feiern, dass wir nicht aufgeben, wenn es schwierig wird, denn es kann durchaus sehr kritische Situationen geben. Aber wenn wir uns gegenseitig unterstützen, bekommen wir drei das prima hin.» «Ja, die Party-Idee gefällt mir auch. Euer Trip ist zwar eine mutige Herausforderung, aber ich bin da optimistisch. Ehrlich gesagt, ich beneide euch ein bisschen um dieses unvergessliche gemeinsame Erlebnis. Ihr werdet euch noch besser kennenlernen und immer daran erinnern, allerdings auch an Papas Schnarchen», lasse ich meine zwei Jungs wissen. Unsere Kleine kichert und sagt zu ihren Brüdern: «Dann steckt ihr Papi einfach eine Wäscheklammer in die Nase. Max aus meiner KITA hat erzählt, dass seine Mutter das immer bei seinem Vater macht.»
 
Lachend sage ich: «Geniale Idee, die muss ich mir unbedingt merken. Übrigens Ernst, deine Mutter hat ebenfalls eine geniale Idee. Sie lädt uns alle zu einer ihrer vornehmen Dinnerpartys ein und erwartet natürlich von dir und mir, dass wir im eleganten Outfit erscheinen. Ihr drei Jungs, wie sie sagte, sollt nach dem Essen im Wintergarten ein kleines klassisches Gitarrenkonzert geben. Eine junge Geigerin wird auch dabei sein. Jetzt kommt der Haken an der Sache. Das Fest wird während eueres ‘Survivals’ stattfinden. Da du deine Mutter ja sehr gut kennst, weißt du, dass sie dessen ungeachtet unser aller, insbesondere dein Erscheinen selbstverständlich erwartet.» Entrüstet und seine Stirn kräuselnd entgegnet dieser merklich sauer: «Das ist wieder ganz typisch für meine Mutter. Muss sie schon wieder mal versuchen, meine Pläne zu durchkreuzen, um mich für ihre einzuspannen? Wir drei sollen unseren Abenteuertrip für diese ‘Small–Talk’ Party unterbrechen? Mehr Kontrast geht nun wirklich nicht. Ich werde ihr diesen Gefallen nicht tun. Ganz bestimmt nicht. Dieses Mal nicht. Dieses Mal bestimmt nicht!» In diesem Moment klingelt das Telefon, ich gehe ran und sage den Gesprächsverlauf ahnend leise seufzend: «Schatz ist für dich. Es ist deine Mutter.» Da diese bekanntermaßen viel und ausgesprochen lebhaft spricht, sind jetzt folgende Gesprächsfetzen von Ernst zu hören: «Also Mama, das passt mir, …, äh, ich könnte …, sehr ungern, aber ..., Mama, vielleicht ist …, ja, also okay, Mama ist gut, …, … ja, wir kommen alle gern …, und ja, mit dem Konzert, das …, … ja, ich komme auch ganz sicher im edlen Zwirn. Ja, Mama, mach’s dann gut. Bis bald und viele Grüße an Papa.» Ernst wirkt geradezu verzweifelt, als er in die Familienrunde blickend sagt: «Warum nur habe ich mal wieder nachgegeben und mich von ihr einwickeln lassen? Ich hatte mir doch so fest vorgenommen, mal ‚Nein‘ zu sagen. Warum nur kann ich mich bei meiner Mutter nicht durchsetzen?»
 
Unser Mittlerer kommentiert: «Weil du und auch wir unseren Trip sehr, sehr gern für leckeren Wildschweinbraten mit nicht von uns gesammelten Preiselbeeren, Kartoffelklößen statt Stockbrot und nicht von uns gefangenen Bachforellen im Kräutermantel unterbrechen. Für dieses super Essen spiele ich ausnahmsweise sogar Klassik. Den Gefallen will ich Oma Erni gern tun. Und bei Rotwein statt Quellwasser Papa, da sagst du doch auch nicht nein. Außerdem bist du als der Gentleman bekannt, der Frauen» er schaut jetzt seine kleine Schwester und mich an, «nur sehr ungern eine Bitte abschlägt.»
 
Text weitergeleitet an die Vereinsmitglieder der Kunstfreunde Wetter und andere lesebegeisterte Menschen
 
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