Renovierungsprobleme - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Renovierungsprobleme


„Also morgen soll ja das Wohnzimmer und demnächst unser Schlafzimmer gestrichen werden. Über diese Notwendigkeit könnte man zwar streiten, aber trotzdem sollten wir uns jetzt die passenden Farben überlegen. Jeder kann nun seine Vorschläge einbringen“, war von meinem lieben Ernst zu hören. Ich kam mir vor, als würde ich an einer Teamsitzung in seinem Büro teilnehmen, dessen Leitung selbstverständlich der „Chef“ übernahm. Das Gute daran ist ja, dass dieser dann aber auch für den Ablauf und das Ergebnis verantwortlich ist. So auch bei der häuslichen Renovierung.

Die darauffolgende Diskussion war, wie immer bei uns recht lebhaft. Oma Erni, Ernst Mutter, die zufällig zu Besuch war und unsere Kleine fanden Tapetenmuster mit Goldstreifen und Blumenranken am schönsten. Die Jungs, Ernst und ich plädierten eher für einen unifarbenen Anstrich in Weiß oder Creme. „Schatz, für unser Schlafzimmer hätte ich gern einen beruhigenden Farbton. Vielleicht ein dezentes Grau oder Blau. Was meinst du?“, wollte ich von Ernst wissen. Ehe dieser antworten konnte, mischte sich unser Großer ein: „Ihr kennt euch schon so lange, da hätte ich jetzt eher auf einen anregenden Farbton getippt. Was haltet ihr von feurigem Chili rot?“ Mein lieber Ernst antwortete seine Stirn runzelnd sofort: „Misch du dich nicht in Dinge ein, von denen du keine Ahnung hast. Bekomm du erst mal selbst dein eigenes Liebesleben auf die Reihe.“ „Über diese Dinge so offen zu sprechen, finde ich unmöglich. Wir waren seinerzeit in allen diesen Dingen viel, viel zurückhaltender.“ Das war die Meinung meiner Schwiegermutter zu diesem Thema. „Ihr wart ja früher auch verklemmt. Ich finde es viel besser so, wie es heute ist“, ging unser Mittlerer seine Oma forsch an. Ernst und die Jungs ließen mich wissen, dass, wenn alle mithelfen, der Anstrich des Wohnzimmers bis zum morgigen Abend ganz sicher zu schaffen sei.
 
In diesem Moment klingelte mein Handy. Es war Daniel, ein netter, junger Mann, den ich schon länger von Koch - Workshops kannte. Ernst war allerdings der Ansicht, dass dieser viel zu nett und freundlich sei. Daniel erzählte mir, dass der nächste Workshop auf den morgigen Samstag vorverlegt worden sei, er aber sehr hoffe, dass ich trotzdem dabei sein würde. „Schatz, was meinst du? Wäre das okay für dich?“ wollte ich wissen und sah Ernst fragend an. Dieser nickte zustimmend, allerdings mit ernster Miene. Ich freute mich und dachte, dass Ernst ein wirklich toller Mann ist. Immer, ja gut, fast immer entgegenkommend und fast immer tolerant. „Wer ist denn dieser Daniel?“, wollte meine Schwiegermutter sehr interessiert wissen. Nachdem ich ihr den Sachverhalt erklärt hatte, schien sie beruhigt zu sein, im Gegensatz zu Ernst. Bei ihm zeigte sich immer, wenn er nur scheinbar entspannt ist, eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen.
 
Als ich am nächsten Abend nach Hause kam, der Koch-Workshop hatte länger gedauert, als erwartet, saß Ernst im fast leer geräumten Wohnzimmer allein auf dem Sofa und spielte auf seiner Gitarre. Unsere Kleine war demnach schon im Bett und die Jungs scheinbar unterwegs. „Hallo Schatz, ich habe dir eine Kostprobe vom indonesischen Essen mitgebracht“, begrüßte ich Ernst etwas schuldbewusst. Mit für ihn unüblich ernster Miene sagte er: „Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen, denn es hat gar nichts, aber auch gar nichts geklappt. Und, wie du siehst, ist dementsprechend hier auch so gut wie nichts passiert. Im Baumarkt war es heute extrem voll, ich war auch irgendwie nicht so richtig bei der Sache und habe natürlich prompt die falsche Farbe ausgesucht. Statt Creme, wie du mir aufgetragen hast, habe ich Champagner gewählt. Mir war anscheinend nach etwas Aufheiterndem zumute. Schatz, du musst doch jetzt zugeben, hätten die Jungs und ich das Wohnzimmer in Champagner gestrichen, wäre deine schlechte Laune dementsprechend gewesen und am nächsten Samstag der Korrekturanstrich fällig, oder etwa nicht? Außerdem hätten die Jungs und ich die Möbel, weil du es so gewünscht hättest, auch bestimmt zwischenzeitlich wieder einräumen müssen. Darauf hatten wir keine Lust und wollten erst mal deinen Kommentar zu „Champagner“ abwarten. Vielleicht steht dir der Sinn auch nach Aufheiterung? Wahrscheinlich nicht. Du hast dich doch beim gemeinsamen Kochen mit Daniel sicher bestens amüsiert. Trotz allem muss ich jetzt aber ehrlicherweise gestehen, dass du uns allen, mir ganz besonders gefehlt hast. Zudem ist Renovieren bekanntermaßen nicht mein liebstes Hobby. Wie war es denn nun bei euch? Sag schon endlich. Ich hoffe, Daniel hat etwas anbrennen lassen?“

„Doch, ja, in der Tat. Daniel hat heute ausnahmsweise mal etwas anbrennen lassen.“ Ich hatte Mühe, mein Schmunzeln zu verbergen. „Ansonsten hat aber alles prima funktioniert und auch sehr gut geschmeckt. Schade, dass du heute keinen Appetit hast. Schatz, es tut mir im Nachhinein wirklich sehr leid, dass ich euch allein gelassen habe. Das war sehr egoistisch von mir. Vielleicht verschieben wir das leidige Renovierungsthema auf morgen? Ich würde es jetzt viel schöner finden, wenn du für mich, vielleicht etwas Romantisches spielen und singen würdest“, sagte ich und lächelte ihn an. „Schatz, das mache ich sehr, sehr gern für dich“, sagte mein lieber Ernst und lächelte zurück.
 
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