Home Office oder die Liebe geht durch den Magen - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Literatur
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Home Office oder die Liebe geht durch den Magen

Gestern rief mich eine Bekannte an und erzählte mir vom Schrecken des Home Schooling und Home Office. Mit den Kindern sei es schon schwierig gewesen, aber seitdem ihr Mann von zu Hause arbeiten würde, lägen ihre Nerven blank. Ja, Sommerzeit wäre ja in diesem Jahr Coronazeit.
Auch bei uns war nichts wie vor Corona. Irgendwie konnten wir das herrliche Sommerwetter nicht so richtig genießen, und dann waren auch noch alle zu Hause, außer Ernst, mein Mann. Die Betreuung der Kinder war eigentlich nicht so problematisch. Unser Großer lernte fürs Abitur, war cool und lässig, das hatte er von Ernst und brauchte selbstverständlich! keine Hilfe. Der Mittlere war in der Achten und eher der emotionale Typ, das hatte er von mir und beim Home Schooling hin und wieder cholerische Aussetzer. Ja, und unser Nesthäkchen vermisste ihre Freundinnen aus der KITA und musste entsprechend bespaßt werden. Meine Schwiegereltern, die zur Risikogruppe gehörten, waren auch noch zu versorgen. Also ich kann sagen, langweilig war mir nicht.
Ab morgen würde es dann wohl noch mal anders, denn Ernst wäre ab morgen im Home Office!!! Fr. Schröder, Ernst` Sekretärin hatte mich schon per Telefon instruiert, dass der „Chef“ jeden Morgen um halb zehn frischen Kaffee und eine Streuselschnecke bräuchte. Bräuchte??? Seit wann braucht der Mensch unbedingt Streuselschnecken? Fr. Schröder war der mütterliche Typ und „ihrem Chef“ sehr zugetan. Sie brauchte allerdings auch nur mit dem Aufzug zur Kantine fahren, um das Gebäck zu holen. Unser Bäcker war nicht fußläufig zu erreichen und die Kantine war ich. Diese war allerdings nicht willens, täglich Streuselschnecken zu backen.
Jetzt war guter Rat teuer!
Am nächsten Morgen ging ich so gegen neun Uhr in Ernst` Home Office, wo er korrekt gekleidet mit Krawatte, am Schreibtisch saß. „Ach Fr. Schröder, gut das sie…“, er unterbrach und seine Stimme senkte sich. „Ach Schatz du bist es natürlich“. „Ach Ernst, falls du jetzt gerade zum Bäcker fahren wolltest, um dir deine Streuselschnecke zu holen, sei doch so gut und bring für die Kinder auch welche mit. Ja und Ernst, es sind auch noch Sachen von der Reinigung abzuholen, liegt ja direkt auf dem Weg. Auch könntest du für heute Mittag Tiefkühlpizza mitbringen, ich habe heute keine Zeit zu kochen. Ich muss unbedingt bei deinen Eltern vorbei schauen. Ja und Ernst, bevor Du fährst, unser Achtklässler braucht Hilfe bei Mathe. Da bist du viel besser als ich. Ernst Schatz, bevor ich fahre, stelle ich dir aber noch die Kaffeemaschine an. Schatz, soll ich deine Eltern von dir grüßen?"
„Ja selbstverständlich“, grummelte er vor sich hin. Ernst hatte den „Sachverhalt“ verstanden. Wir hatten uns während der vielen Jahre gut kennengelernt.
Ich schätze, Ernst wäre jetzt viel lieber in seinem „normalen“ Büro und ließe sich von Fr. Schröder mit frischem Kaffee und der heiß geliebten Streuselschnecke verwöhnen. Aber die Zeiten ändern sich eben!!!
Als ich vom Besuch bei den Schwiegereltern nach Hause kam, herrschte dort leichtes Chaos. Ernst hatte die Pizzawünsche der Kinder, jeder wollte natürlich eine andere Sorte, doch nicht so im Kopf! Er hatte es abgelehnt, einen Zettel zu schreiben. „Chef Allüren“! Die Reinigung hatte geschlossen und die Streuselschnecken waren ausverkauft. Es gab entsprechend „lange Gesichter“, deren Mimik sich dann, am Nachmittag, bei frisch gebackenen Waffeln, Kirschen und Sahne bei allen aufhellte.
Am nächsten Morgen saß Ernst, leger gekleidet, bei Kaffee und Käsebrot am Küchentisch. Neben ihm saß unsere Kleine, ihre Puppe im Arm, ein Märchenpuzzle auf dem Tisch ausgebreitet. Mein lieber Ernst! Welch eine Idylle! Könnte Fr. Schröder es sehen, sie wäre wieder einmal begeistert von „ihrem Chef“.
Ja, die Zeiten ändern sich, aber die Liebe, die geht weiterhin auch durch den Magen!!

Diese Kurzgschichte wurde im Gemeindeblatt "Lahntal aktuell" Ausgabe 2020 Nr. 32 und
im Wetteraner Gemeindeblatt "Wetteraner Bote" Ausgabe 2020 Nr. 46 veröffentlicht


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