Ernst hat 'ne "Neue" - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Ernst hat 'ne "Neue"


Ernst hat 'ne Neue. Eine neue Sekretärin. Er ist sehr begeistert von ihr. Sie sei sehr kompetent, sehr verantwortungsbewusst und sehr fleißig, erzählte er. Er schätze aber besonders, dass sie ihm fürsorglich jeden Morgen um halb zehn frischen Kaffee und seine geliebte Streuselschnecke servieren würde. Dieses Ritual war ihm auch bei Frau Schröder, der langjährigen Vorgängerin wichtig. Ich dachte, solange ihre Fürsorge nur die Streuselschnecke betrifft, soll es mir egal sein. Sie heißt übrigens Frau Klinger. Zur Verabschiedung von Frau Schröder war auch ich eingeladen und wurde überrascht, denn Ernst Neue war jung und sehr hübsch. Er hatte beides seltsamerweise nicht erwähnt. Ich fing an, mir Gedanken zu machen. Warum hat die Klinger so viele Kompetenzen? Aber vor allem, warum muss sie auch noch jung und so attraktiv sein? Ich bin nicht mehr ganz so jung. Die ersten grauen Haare und Fältchen sind schon zu sehen. Überhaupt, was ist mit meinen Fähigkeiten, Wünschen und Träumen? Habe ich noch welche? Ich komme nicht mal dazu, darüber nachzudenken. Irgendwie ist immer vieles andere wichtiger.

»Was ist los? Ist was passiert? Du bist aber nicht gut gelaunt. Kann ich dir vielleicht helfen?«, wollte Ernst in die Küche kommend wissen, wo ich gerade mit Gemüse schnippeln beschäftigt war. Ernst aß derzeit vegetarisch, was mir noch mehr Küchenarbeit verschaffte. Ich dachte: nun ja. Es ist, wie es ist! »Ernst, warum hast du mir verheimlicht, dass sie jung und so hübsch ist?« »Wer? Wieso verheimlicht?« Ich vermutete, dass sein Erstaunen vorgetäuscht war. »Deine Neue natürlich!« »Ach die Klinger! Warum sollte ich dir das erzählen? Ist doch egal«, antwortete er leicht hin. Ich fand seinen Tonfall übertrieben leicht! »Das ist doch nicht egal. Ich weiß sehr genau, dass du bemerkst, wenn eine Frau attraktiv ist«, sagte ich. »Schatz, du weißt, dass ich das auch bei dir sehe. Übrigens, was kann Frau Klinger dafür, dass sie jung und hübsch ist? Wichtig sind mir vor allem ihre Kompetenzen und besonders schätze ich, dass sie meine geliebte Streuselschnecke nie vergisst.« Er grinste. »Ernst, jetzt mal ganz im Ernst, wie findest du mich?« »Warum fragst du? Ich finde dich nach wie vor sehr beeindruckend. Besonders deinen Kartoffelsalat und die Nachsicht und Geduld, die du mit mir hast.« Er schmunzelte. »Ach, Ernst, rede doch keinen Unsinn. Irgendetwas ist bestimmt nicht o k. Sag schon! Ich vertrage durchaus Kritik.« Ich bemerkte jetzt, dass meine Augen feucht wurden und dachte: jetzt nicht das auch noch! Ernst Stimme bekam nun einen tröstenden Klang: »Schatz, ich finde alles gut so, wie es ist. Allerdings bist du zu selbstkritisch geworden. Auch strahlst du nicht mehr wie früher und bist nicht mehr so fröhlich. Das vermisse ich. Wenn du etwas Eigenes finden würdest, was dich erfüllt und begeistert, könnte all das bestimmt zurückkehren. Bin gespannt, was es sein wird. Gerade fällt mir das Jodeldiplom von Loriot ein. Die wunderbare Evelyn Hamann hat damit auch etwas Eigenes gefunden.« Wir mussten beide in Erinnerung an diesen Sketch lachen. »Auf jeden Fall werde ich dich bei deinem Suchen und Finden unterstützen. Für die Kinder wird es auch gut sein, wenn du sie nicht so sehr unter deine Fittiche nimmst. Du gewinnst mehr Zeit und vor allem die Jungs, die wollen und sollen doch auch endlich selbst fliegen!
 
Übrigens, Schatz, Frau Klinger heiratet im nächsten Monat. Wir sind beide eingeladen!«
 

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