"Dicke Luft" - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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"Dicke Luft"


Ernst kam ins Wohnzimmer und sagte: „Schatz, warum liegst du denn zusammengerollt wie ein Igel und zugedeckt bis zur Nasenspitze auf dem Sofa? So kalt ist es aber nun wirklich nicht. Mir ist eher zu warm. Also, was ist los? Wenn es nicht die Zimmertemperatur ist, dann liegt doch bestimmt dein Gefühlsleben im Minusbereich. Soll ich dich vielleicht wärmen oder willst du lieber nur reden oder beides oder vielleicht auch beides nicht?“ Ich antwortete nur kurz und leicht ungehalten: „Natürlich beides!“ Ernst wartete geduldig. Unwirsch sagte ich zu ihm: „Ich fühle mich heute melancholisch.“ Er schaute mich fragend an. Ich unter Tränen: „Interessiert dich gar nicht, warum?“ „Schatz, da ich dich kenne, weiß ich, dass du es mir gleich erzählen wirst. Aber okay, warum bist du so traurig? Wahrscheinlich gibt es Änderungswünsche an mich oder auch an die Kinder. Habe ich recht?“ In anklagendem Ton: „Wenn du schon meine Antwort weißt, warum fragst du dann noch?“ Ich spürte jetzt, dass Ernst Mühe hatte, seinen Unmut zurückzuhalten. Aus mir sprudelte es dafür nur so heraus: „Es wird mir einfach alles zu viel. Wirklich. Jeden Tag, immer das Gleiche, immer der gleiche Stress. Ich frage mich täglich, ob ich alles richtig geplant oder vielleicht doch etwas vergessen habe. Das alles mache ich aber nicht nur für mich! Nein, hauptsächlich für euch alle! Und dann muss ich eure und auch meine Termine noch notieren. Ich komme mir vor, wie, die Mensch gewordene Familienplanerin. Ja, und um unsere Eltern muss ich mich auch immer mehr kümmern. Ich Ernst und nicht du! Und immer jeden Tag aufs Neue der ganze Haushaltskram. Jeden Tag kochen! Es geht mir alles nur noch auf die Nerven. Für meine eigenen Sachen, die euch wahrscheinlich nicht wichtig, aber für mich sehr, sehr wichtig sind, bleibt kaum noch Zeit. Ja, und vor allem, wo bleibt euer Dank für das alles? Ich fühle mich einfach nur noch müde, frustriert und sehr, sehr traurig.“ Erneut kamen mir die Tränen.

Ernst konnte so wie jetzt in sehr mitfühlendem Ton sprechen. „Schatz, ich habe schon den Eindruck, dass du von uns allen sehr geliebt und wertgeschätzt wirst. Warum hast du nicht früher mit mir geredet? Denn ich kann dich schon verstehen, auch dass du auch mal einen Durchhänger hast. Vielleicht hilft es dir ja schon, wenn du diese Gefühle zulässt. Versuche, dich zu entspannen. Du darfst und musst nicht immer funktionieren und dich auch nicht für alle und alles verantwortlich fühlen. Ich vertraue auf deine Energie und dein fröhliches Naturell. Beides wird dir bestimmt helfen, diese Krise zu überwinden. Wie findest du meine Idee, wenn zum Beispiel jeder seinen eigenen Terminkalender führt, außer natürlich den, unserer Kleinen. Die Jungs und ich bekommen das ganz sicher hin.“ „Ach, das funktioniert doch nie. Ich kenne euch doch. Ihr vergesst ganz bestimmt, die Termine einzutragen." Nun änderte sich Ernsts Tonfall: „Das ist aber jetzt eine Unterstellung. Ich versuche dir zu helfen und was machst du? Du funkst gleich wieder dazwischen. Manchmal bringst du mich an den Rand der Verzweiflung. Übrigens dankst du mir, dass ich meine Arbeit mit der Verantwortung für alle und alles hinbekommen muss und auch will? Dankst du den Kindern, dass sie ihren ganzen Schul- und KITA-Kram so gut hinbekommen? Ich jedenfalls bin sehr dankbar, dass alle drei unsere Energie geerbt haben. Ich finde das sehr, sehr beruhigend, auch wenn es ab und zu mal in die falsche Richtung geht.“ Ich lenkte jetzt ein: „Vielleicht hast du ja ein bisschen recht.“ Ernst ungehalten: „Ein bisschen? Du bist im Moment sehr undankbar und badest in Selbstmitleid.“ Schon wieder war ich den Tränen nahe: „Ja, du hast recht. Ich bin selbst mitleidig. Das fühlt sich gar nicht gut an“. Nach längerem Schweigen: „Danke Schatz, dass du mir helfen willst. Vielleicht habe im Moment vergessen, dass auch ihr, du und die Kinder so euren Stress habt. Aber du musst zugeben, dass ihr am Wochenende immer freihabt und keine sogenannten Hausfrauenpflichten wie ich. Ach, ich weiß auch nicht so genau, was mit mir los ist. Ich habe Halsschmerzen. Vielleicht werde ich ja krank.“ „Ja, das könnte passen, denn du fühlst dich ja auch gekränkt von mir und den Kindern. Passend ist aber auch, dass Wochenende ist. Du ruhst dich jedenfalls erst mal so richtig aus und über deine sogenannten Wochenendpflichten sprechen wir dann später noch mit den Kindern. Ich muss jetzt zugeben, wenn etwas Routine ist, z. B., dass du auch am Wochenende kochst, dann wird man, ich meine jetzt mich bequem und unaufmerksam. Wir beide sollten über eine Haushaltshilfe nachdenken, die dich entlastet, damit du zu dem kommst, was dir selbst wichtig ist. Heute und Morgen übernehmen die Kinder und ich jedenfalls den Küchendienst. Wahrscheinlich gibt es aber nur „Strammer Max“ oder Tiefkühlpizza für alle." Ernst schmunzelte jetzt.
 
In diesem Moment waren die Stimmen der Kinder zu hören, die bemängelten, dass ich heute anscheinend vergessen hätte zu kochen. Von unserem Großen war zu hören: „Mama, was ist denn los? Es duftet ja gar nicht nach Frikadellen mit Kartoffelsalat? Heute riecht es eher nach „Dicker Luft“!

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